Meran 21. September 1877.
Lieber Manuel!
Deinen Brief vom 15. September erhielt ich vorgestern hier in Meran, wo ich seit dem 18. mich befinde. Ich bedurfte dringend einer Erholung, da ich zu Hause keinen genügenden Schlaf mehr fand, aber durch verschiedene Umstände, insbesondere durch die Krankheit meiner lieben Susanna, festgebannt war. Noch immer hofften wir sie nach Streitberg, zuletzt wenigstes nach Rathsberg zu bringen, und sie selbst verlangte hinaus in der Hoffnung, am andern Ort besser athmen zu können. Allein es ließ sich nicht ausführen, immer traten neue Hindernisse ein, und besonders war auch das Wetter zu wenig günstig, um die Übersiedelung wagen zu können. Auch hätte die Kranke anderwärts unmöglich eine so gute Pflege gefunden, wäre bei aller Vorsicht kaum vor schädlichen Einflüssen zu behüten gewesen. Ich reiste erst fort, nachdem wir solches Vorhaben definitiv aufgegeben und nachdem ich zuvor auch Georg zur Wiederholung seiner Prüfung nach München expedirt hatte. Mit dieser wird er in dieser Woche fertig geworden sein, doch habe ich über das Resultat noch nichts vernommen; ich erwarte kein gutes. |
Auf alle Fälle wird Georg Militär bleiben, da er dazu Neigung und Beruf hat.
Mit Susannas Befinden ging es erträglich. Athembeklemmung und Husten haben freilich nicht nachgelassen, aber ihre Kräfte sich doch im Lauf des Sommers sichtlich gehoben. Vor dem Winter ist ihr wie uns bange! Gern hätte ich sie hieher nach Meran gebracht, aber es war unmöglich: schon die Bewegung von wenigen Schritten im Zimmer steigert die Beklemmungen, an Reisen, langes Fahren auf der Eisenbahn, Aus- und Einsteigen war kaum zu denken.
Von einem Winteraufenthalt in Meran war früher oft die Rede. Auch die späte Jahreszeit veranlaßte mich, diesen Ort für eine freilich nur kurze Zeit der Erholung zu wählen, denn schon am 27. dieses Monats tritt die historische Commission in München zusammen.
Ich reiste über München, wo ich bei Kleins übernachtete, nach Innsbruck, Botzen hieher, bis Botzen mit der Eisenbahn, von dort – 3 Stunden – mit der Post hieher. Auch in Innsbruck übernachtete ich und war dort abends mit mehreren Collegen Huber, Busson zusammen. Gries bei Botzen wird als besonders geschützter Ort für Kranke empfohlen: ich fand den Weg dahin zwischen Gartenmauern, über die man nicht hinweg sehen kann, | sehr unangenehm und staubig. Das Kurhaus freilich recht schön, und mag für Kranke, welche keine Spaziergänge machen wollen, geeignet sein; es ist dort sogar wärmer als in Meran, denn letzteres liegt offen gegen das Passeyerthal im Norden, den Vintschgau im Westen, von wo besonders im März recht rauhe Winde hereinbrechen sollen. An dem Tage meiner Ankunft war es so warm, daß ich mich mitten in den Sommer versetzt glaubte. Ich wählte mir in der Villa Neuhaus ein Zimmer mit schöner Aussicht auf den Fluß, die Passer, – die Wiesen mit Baumpflanzungen und die Berge zu beiden Seiten der Etsch nach Süden. Die sogenannte Saison beginnt hier erst jetzt und ich war im Hause noch der erste Kurgast bei Tisch. Doch ist diese Villa nur eine unter unendlich vielen in der Nähe und Ferne und es fehlt nicht überhaupt an Fremden. Aber der eigentliche Zuzug ist erst im Oktober zu erwarten. In den letzten Tagen waren die Morgen und Abende kühl; sobald die Sonne herauskommt, wird es gerade angenehm warm zum Sitzen im Freien. Die Weinreben tragen ungewöhnliche Fülle von Trauben, und man sieht aller Orten die Leute in den Weingärten beschäftigt, die Körbe mit den großen blauen Trauben zum Versenden und packen. Ich gehe Vor- und Nachmittags spazieren und mit dem Schlaf geht es mir besser.
Ich suchte den hiesigen evangelischen Geistlichen auf, von dem | ich am Sonntag in dem Betsaal eine Predigt hörte: es ist Pfarrer Richter, der mir von seinen früheren Beziehungen zu dem Berliner Consistorium und zu Dir erzählte. Er hat sich mit der Tochter eines Berliners Nitsche verheiratet, welcher sich hier seit 16 Jahren ansässig gemacht hat. Überhaupt sind nicht wenige Fremde hier, die sich ihrer Gesundheit wegen dauernd hier aufhalten und Villen angekauft haben, die sie zum Theil vermiethen. –
Für Dich hat eine schwere Arbeitszeit bereits begonnen; möge sie Dir nicht zu schwer fallen! – An Deinem Geburtstage – es wird der letzte Tag meines hiesigen Aufenthalts sein – werde ich Deiner in brüderlicher Liebe gedenken. Gott gebe, daß Du ihn froh im Kreise der Deinigen feierst! Möge es Dir und ihnen fortdauernd wohl gehen!
Treulich
Dein Bruder Karl.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Meran46.6695547,11.1594185Landeshauptstadt Tirols an der Etsch und Kurort, südlich des Brenners und circa 30 Kilometer nördlich von Bozen gelegen.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut: 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Eine Chronik, München 2008.
Neuhaus
, 150 Jahre Historische Kommission
2008
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Klein, FelixFelix Klein11856286X18491925Klein, Felix (1849–1925), in Düsseldorf geborener Mathematiker, der von 1872 bis 1875 ordentlicher Professor an der Universität Erlangen war, dann bis 1880 an der Technischen Hochschule München, bis 1886 an der Universität Leipzig und bis 1913 an der Universität Göttingen, Ehemann Anna Maria Carolina Kleins, geb. Hegel (1851–1927).
Huber, Alfons
HiKo
11926640718341898Huber, Alfons (1834–1898), im Tiroler Zillertal geborener österreichischer Historiker, der nach seinem Studium von 1855 bis 1859 an der Universität Innsbruck dort promoviert wurde. 1860 habilitierte er sich dort auch und wurde 1863 ordentlicher Professor, bevor er 1887 an die Universität Wien berufen wurde. 1894 wurde er Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München.
Busson, Arnold11718403918441892Busson, Arnold (1844–1892), im westfälischen Münster geborener österreichischer Historiker, der nach Studienbeginn an der Universität Innsbruck im Jahre 1863 an die Universität Göttingen wechselte und dort 1866 promoviert wurde. 1867 habilitierte er sich in Innsbruck, wurde dort 1871 außerordentlicher, 1872 ordentlicher Professor und wechselte 1891 an die Universität Graz, wo er nur noch kurz tätig sein konnte.
Richter, CarlRichter, Carl, evangelischer Pfarrer in Gries bei Bozen, Schwiegersohn von Nitsche, N. N.
Nitsche, N. N.-Nitsche, N. N., Schwiegervater des evangelischen Pfarrers Carl Richter in Gries bei Bozen.
Streitberg49.8104952,11.2193993Kurort in der Fränkischen Schweiz, etwa 50 Kilometer nördlich von Nürnberg und unweit von Muggendorf an der Wiesent gelegen, am Ende des 18. Jahrhunderts bekannt geworden durch die Frühromantiker und „Entdecker“ der Fränkischen Schweiz, Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773-1798) und Ludwig Tieck (1773-1853).
Rathsberg49.618635,11.0192278Ort mit Gutshof und Schloß, etwa vier Kilometer nordöstlich von Erlangen auf der Höhe gelegen.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Innsbruck47.2654296,11.3927685Am Inn gelegene landesfürstliche Residenzstadt der Habsburger im nördlichen Tirol und seit 1849 Landeshauptstadt Tirols im Westen Österreichs, Universitätsstadt und Ausgangspunkt für die Überquerung der Alpen über den Brenner-Paß von Norden, ab 1867 auch mit der Eisenbahn.
Bozen46.4984781,11.3547399Etwa 500 Kilometer südlich von Erlangen und etwa 60 Kilometer nördlich von Trient am Zusammenfluß von Eisack und Talfer unweit der Etsch gelegen.
Gries46.5031904,11.3343419Etwa zwei Kilometer westlich von Bozen gelegene Gemeinde.
Passeiertal (Passer)46.754978,11.2093266Von Bozen aus nach Nordwesten sich erstreckendes Tal der Passer, die vom Timmelsjoch nach Süden fließend bei Meran in die Etsch mündet.
Vinschgau46.659822399999996,10.67294232071595Westlich von Meran gelegenes Gebiet des oberen Etschtales mit seinen Seitentälern.
EtschIn den Ötztaler Alpen entspringender und südlich von Venedig in das Adriatische Meer mündender, etwa 420 Kilometer langer Fluß.
CommissionssitzungJährlich stattfindende ordentliche Plenarversammlung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, früher in mehrere Sitzungen aufgeteilt.
KonsistoriumOberste kollegiale Verwaltungsbehörde einer evangelischen Landeskirche, durch die der Landesherr sein ihm zustehendes Kirchenregiment ausübte.