Das lang Erwartete ist endlich eingetreten. Meine liebe Susanna ist in der Neujahrsnacht heute Morgen 2 Uhr von Gott zu sich genommen worden. Das Sterben, das sie viel mehr als den Tod selbst fürchtete, den sie im Gegentheil sehnlich herbeiwünschte, ist ihr nicht leicht gemacht worden.1 Sie selbst und der Arzt hatten es schon zwei Tage früher erwartet, aber ihre Kräfte hoben sich noch einmal, der Puls wurde wieder fühlbar. Gestern Nachmittag schlummerte sie kurze Zeit sanft und athmete leicht, der Mund war halb geöffnet, die Wangen rosig gefärbt: sie sah aus wie eine verklärte Heilige und Himmelsbraut. Am Abend trat Fieber ein, welches ihre letzte Kraft in wenigen Stunden verzehrte: es verließ sie das Bewußtsein. Bis dahin war sie völlig klar. Sie sprach in den letzten Tagen wenig, denn das Sprechen reizte sie zum Husten und wurde ihr schwer. Aber alle ihre Worte waren von Bedeutung: zu mir und jedem der Kinder. Sie nahm nicht förmlichen Abschied, wohl um bloße Rührscenen zu vermeiden. Sie hat während ihres langen Leidens unendlich viel Geduld bewiesen, auch zur Bewunderung des Arztes. Zuletzt hatte sie die irdischen Sorgen abgeworfen; ‚ich führe schon ein doppeltes Leben‘ sagte sie, und: ‚es ist, als ob mir alle meine Schmerzen fremd wären‘. Ich kann ihr nicht genug danken für die große Liebe, die sie mir bewiesen. Unendliche Herzensgüte und Liebe waren die Grundzüge ihres Charakters. Sie hat besonders den Töchtern das edelste Vorbild hinterlassen! Wahrheit und Aufrichtigkeit und rechte Frömmigkeit bildeten den schönsten Schmuck ihrer reinen Seele. ‚Sie verlieren einen großen Schatz an ihr‘ sagte mir von Zezschwitz, der sie öfter besucht und sich jedes Mal an ihr erbaut hat.
Die Beerdigung ist nach Rücksprache mit dem Arzt vorläufig auf Donnerstag2 Nachmittag 4 Uhr festgesetzt. Ich erwarte Dich nicht, wie ich Dir schon schrieb, und schicke deshalb auch kein Telegramm. Ich bin nicht verlassen und ruhig gefaßt. Wie lange war ich auch schon auf diesen Schlag vorbereitet! Ich habe auch Anna geschrieben, daß sie nicht kommen möge; wir haben uns vor kurzem gesehen.