Für Ihre Freundlichkeit, mir so bald schon in den ersten Tagen der Trauer zu schreiben, kann ich Ihnen nicht genug danken, da ich doch nur einmal, glaub‘ ich, im Hause Ihrer auch von mir so hochverehrten Frau Mutter in Berlin Sie gesehen habe. Als ich die Trauernachricht las, stürzten mir die Thränen unaufhaltsam aus den Augen, mir war zu Mute, als läge mir nun mit einem Male das liebste Blatt aus meinem Jugendleben welk vor den Füßen. Ihnen darf ich das ja wohl schreiben, da Sie wissen, welche Güte und Liebe mir von Seiten der ganzen Tucher‘schen Familie zu Theil geworden ist, wofür ich bis zu meinem letzten Athemzuge dankbar bleiben werde. Wie war das sonst meine Freude, ja mein Stolz, in dem lieben Familienkreise verkehren zu dürfen und, als ich ihm fern war, davon erzählen zu können. Nun sind die drei lieben Brüder, Georg, Christoph und Gottlieb, schon so lange zur Ruhe gekommen, der Glockenhof, der Garten in Wöhrd, wo ich so glückliche Stunden verlebt habe, sind verödet; zum letzten Male bin ich 1847 in Nürnberg gewesen, und denke, wenn ich mich an Erlangen erinnere, all‘ der Todten, die mir so lieb gewesen sind. Nun kennt mich dort, seit dem Tode meines Vetters Rudolf und seit Ihrem unaussprechlich schweren Verluste des Liebsten, das Sie hatten, Niemand mehr persönlich, und das erweckt ein unsäglich wahres Gefühl in mir. Und doch – „wer so stirbt, der stirbt wohl“. Das ganze Leben Ihrer theuern Entschlafenen ist gleichsam ein lebendiges Beispiel zu den Worten gewesen, die sie mir einst in mein Stammbuch geschrieben hat:
„Kann je der Sonne Kraft ein irrer Sturm entwallen?
Wie könnte denn ein Mensch aus Gottes Liebe fallen!“
Verzeihen Sie mir, geehrtester Herr Professor, wenn ich nach Ihrer Meinung sollte zu viel geschrieben haben. Wes mein Herz voll ist, davon floß mein Brief über. Die Erfüllung Ihres Versprechens, mir eine Photographie und die Grabrede2 zu schicken, wird mich Ihnen zum aufrichtigsten Danke verpflichten. Das nebenstehende Lied bitte ich Sie anzunehmen, wie es herzlich gemeint ist.
Psalm 126,5.
Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten.Herr! ich will so gern schweigen:
Thun, was dir wohlgefällt!
Alles, was wir nennen eigen,
dient nur kurze Zeit der Welt;
Was in ihr auch ist zu finden,
Keiner darf sein Herz dran binden.
Jesu Wort zeigt himmelwärts:
Wo nur Schatz, da ist nur Herz.
Herr! ich will so gerne beten,
Wenn auch Herz und Auge weint,
Zu dem Gnadenstuhle treten,
Bis mir wieder Trost erscheint.
Lehre mich in Jesu Namen
Zu dir rufen, sprich dein Amen!
Jesu Wort zeigt himmelwärts:
Wo nur Schatz, da ist nur Herz.
Herr! ich will so gerne danken,
Wird es mir auch noch so schwer,
Stürmen traurige Gedanken
Immer wieder auf mich her.
Gibst du mir die schwersten Schläge:
Wunderbar sind deine Wege.
Jesu Wort zeigt himmelwärts:
Wo nur Schatz, da ist nur Herz.
Herr! ich will so gerne singen
Dein Lob bis in Ewigkeit;
O so hilf mir kämpfen, ringen
In den Leiden dieser Zeit!
Die du hier uns hast gegeben,
Schenk‘ uns neu im ew’gen Leben!
Jesu Wort zeigt himmelwärts:
Wo nur Schatz, da ist nur Herz.