Du hast den Grund meines Verstummens richtig errathen. Ich ziehe mich auf mich selbst zurück und gehe schweigsam umher. Nur ein täglicher Spaziergang ist meine Erholung, in Gemeinschaft mit meinem lieben Freunde Lommel, so oft er Zeit hat. Außerdem geben mir meine Vorlesungen und mein historisches Seminar eine erwünschte Anregung, und ich möchte diese am wenigsten missen. Sonst verkehre ich viel im Innern mit meiner Susi, deren himmlische Seele mich liebevoll umschwebt, da sie unzertrennlich von mir ist. Sie ist nicht mehr an Zeit und Raum gebunden, also muß sie auch immer gegenwärtig und bei mir sein, wenn sie unsterblich ist. Ich denke und thue nichts, ohne sie zu fragen, ob es ihr recht ist! Diese Seelengemeinschaft wird mein Trost bleiben, bis uns, nach einer kurzen Spanne Zeit, das Grab vereinigt, für welches ich ein gemeinsames Denkmal bestellt habe.1 Ich beschäftige mich auch täglich, wenn ich vom Spaziergang nach Hause komme und nach dem Abendessen, mit unserer glücklichen Vergangenheit und lese ihre herzerquickenden Briefe in Verbindung mit unserer Correspondenz von und nach Berlin und Nürnberg. Wie lebendig tauchen mir dabei die fast vergessenen Zeiten und Umstände auf, für die sie immer ein viel frischeres Gedächtniß als ich bewahrte! Ich finde darin unsere gute Mutter wieder, Dich und die liebe Friederike, in Freud und Leid mancherlei Art, und es erscheint mir bei solchem Überblick mein schon halb entschwundenes Leben so reich an Inhalt wie lang von Dauer. Um Dir aber nichts von meinem inneren Leben zu verschweigen, so verweile ich am häufigsten doch bei der trüben Betrachtung der beiden letzten Jahre und peinige mich selbst mit Vorwürfen, daß ich nicht genug für meine liebe Susi gesorgt habe und daß im Beginn ihrer Krankheit das Nöthige unterlassen worden ist, was hätte geschehen sollen. Ich weiß wohl, daß solche Gedanken eitel sind, aber sie kehren doch immer wieder, so oft ich sie auch verscheuche. –
Deine Nachricht2 von dem Leiden der lieben Clara und der schmerzhaften Operation, der sie sich unterziehen mußte, hat mich erschreckt und sehr betrübt. Recht schwere und ängstliche Stunden habt Ihr da miteinander durchlebt. Gott gebe, daß nun auch Alles glücklich vorüber sei und völlige Genesung sie für das Überstandene entschädige. Der Besuch Eurer Kinder und Enkel aus Waldenburg wird Euch unter allen Umständen eine rechte Erquickung sein.
Von unserem äußeren Leben ist wenig zu berichten, da wir natürlich uns sehr still verhalten. Doch war ich ein Mal in Nürnberg und habe die Schwester Marie und die gute Lina besucht, zu welcher letzteren, die selbst in letzter Zeit nervenleidend war, ich auch die erblindete Freundin Luise Schwarz bestellt hatte, um mich mit ihnen von meiner guten Susi zu unterhalten. Luise hatte sie im Traum wie eine Verklärte in einer himmlischen Landschaft, von Blumen umgeben, gesehen. Es war für mich sehr rührend, als sie davon wie entzückt mit heiterer Miene erzählte! – Die Kinder sind wohl, die beiden Mädchen gehen wieder in den Gesangverein und erst vorgestern nahmen sie an einer öffentlichen Production desselben theil. Der gute Mundel ist fleißig und Georg ordentlich, ein stattlich herangewachsener, kräftiger Mensch, der jetzt im Kreis der Offiziere verkehrt und gern gesehen ist. Sein strenger Hauptmann ist mit ihm zufrieden; im nächsten Monat wird er die Kriegsschule in München beziehen. Leider ist in diesen Tagen die Versetzung des hiesigen Jägerbataillons nach der unangenehmen Garnison Germersheim entschieden worden, wohin also auch Georg, wenn er nach einem Jahr die Kriegsschule verläßt, gewiesen ist. Meine Tochter Luise ist wieder in der Hoffnung, leider allzu bald, was auch meine Susi bekümmerte. Damit sind wieder, wie sonst, Zahnweh und Gesichtsschmerzen verbunden, die sie herunterbringen: gestern ließ sie sich in Nürnberg eine böse Zahnwurzel ausreißen, was eine starke Blutung zur Folge hatte und mich an den ähnlichen Fall von Friederike in Warnemünde 1851 erinnerte.
Ich lasse jetzt bairische Chroniken drucken3 und schreibe über die Dante Commentare des Mittelalters4, nachdem meine frühere Vorliebe für den Dichter, bei meiner jetzigen Stimmung, noch viel stärker erwacht ist. Doch muß ich mich in der Arbeit zurückhalten und vorsichtig mit meinem unsicheren Schlaf capituliren.
Meine herzlichen Grüße an die liebe Clara und Eure Kinder. Ich habe noch als erfreuliche Neuigkeit zu erzählen, daß Löffelholz sich jetzt definitiv entschlossen hat, in diesem Sommer nach Nürnberg zu übersiedeln.