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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 17. Juli 1878

Lieber Karl!

Du wirst inzwischen die Flottwellsche Biographie1 von Adalbert in Marienwerder empfangen haben und ist die Sache hiermit als erledigt zu betrachten. Deine erste Nachricht, die Du mir nach der Rükkunft von Würzburg gabst2, habe ich sofort an Adalbert mitgetheilt, weil er sich im Besitz der Familienpapiere befindet und im Stande war, die Arbeit rasch und gut zu liefern. Bei Theodor war dies durchaus nicht zu erwarten; nicht deshalb weil es ihm an Interesse, oder Geist und Produktivität fehlt, sondern im Gegentheil damit so reichlich versehen ist, daß der Zweck bei ihm schwerlich zu erreichen war und jedenfalls viele und lästige Weiterungen entstanden sein würden; er hätte ein großes Werk von höchst subjektiver Färbung gefertigt, welches man hätte abkürzen und umarbeiten müssen. Ich habe ihm nun den Entwurf von Adalbert vorgelesen und mit ihm mehrere Amendments vereinbart, welche dann auch Adalbert berücksichtigt haben wird. Bei dieser Verhandlung habe ich mich mit ihm ganz gut verständigt, und wenn es ihm hinterher empfindlich geworden, daß ihm nicht die Sache übertragen wurde, so wird er mir allein die Schuld beigemessen haben und hat sich auch darüber beruhigt.

Clara ist heute Morgen mit Clärchen wohlbehalten von Westpreußen zurückgekehrt, sehr befriedigt von dem Aufenthalt bei den Geschwistern erst in Lautensee bei Pauline und dann in Marienwerder bei Adalbert. Auch machte sie dazwischen einen Besuch in Danzig und erfreute sich ihrer schönen Vaterstadt. Am 3ten August denke ich mit Clara und Clärchen zur Benutzung meines Urlaubs zuerst nach Görbersdorf bei Waldenburg zu fahren, wo die Kinder wieder die Sommerwohnung, wie im vorigen Jahre, für sich und uns gemiethet haben. Zum 19ten August wünsche ich dann noch für 3 Wochen nach Johannisbad zu gehen, wo ich das Bad zu meiner Stärkung gebrauchen will, da es mir, wie ich meine, in den früheren Jahren stets gute Dienste geleistet hat. Ich spüre bei einer wachsenden Arbeitslast das zunehmende Alter und fühle mich wieder sehr abgespannt, so daß ich recht nach Ruhe verlange. Dir wird hoffentlich der Aufenthalt in Alexandersbad zur Erquikung dienen; ich habe mich im Jahr 1856 nach Franzensbad dort mit Friederike eine Woche lang aufgehalten; das Merkwürdigste war die Fahrt auf die Koßhaine mit einem Leiterwagen und 4 Ochsen vorgespannt. Von Luise Lommel hat Clara hier einen freundlichen Brief aus Brückenau vorgefunden. Clara läßt ihr vorläufig dafür sehr danken, mit dem herzlichen Wunsch, daß sie recht gestärkt zum Mann und Kindern in ihr Haus zurükkehren möchte. Du wirst es freilich vermißen, wenn die fröhlichen Enkel nicht mehr Dein Haus beleben werden. Deine Nachrichten von Frau Gervinus und den Erinnerungen in Heidelberg haben mich sehr interessirt; es ist doch ein schöner Aufenthalt, der freilich nicht ausfüllen kann, was sonst das Leben fordert.

Die Wahlbewegungen3 sind auch hier, wie aller Orten im Reiche, lebhaft um Gang; ich nehme daran fast nur aus den Zeitungen Notiz; gestern Abend folgte ich einer Einladung in eine konservative Wahlversammlung, und wenn es dort auch ganz ordentlich zuging, so verließ ich sie doch mit dem Entschluß, mir künftig den Zeitverlust zu sparen. Auf das Resultat des Wahlkampfes sowohl im großen Ganzen, als in den einzelnen Kreisen und zwischen den bestimmten Personen muß man aber sehr gespannt sein. Bismark hat es unternommen, die national-liberale Parthei zu sprengen, weil ihre Führer Lasker, Bennigsen den Dienst versagt haben. Es ist merkwürdig, wie bei ihm die größeren Aktionen gewöhnlich in einem persönlichen Konflikt ihren unmittelbaren Ausgang nehmen. Nun ist die große, sonst so mächtige Parthei in ein wirres Durcheinander gerathen; sie haben alle ihren Schwerpunkt verloren und keiner weiß, in welchem Hafen er Rettung suchen soll. Mit Seelenruhe sieht das Centrum dem oft lächerlichen Schauspiel zu; es ist seines Besitzes und seines endlichen Sieges gewiß. Der Kampf mit der Sozialdemokratie kann nur geführt werden, wenn der Kulturkampf gelöst ist. Beides zu gleicher Zeit geht nicht. Daher heißt es, daß Bismark in Kissingen mit dem Nuntius aus München verhandeln wolle; eine Verständigung wird nur zu erreichen sein, wenn er darauf verzichtet, von der römische Kirche ein Aufgeben ihrer Prinzipien zu verlangen. Zur Beseitigung des allgemeinen Stimmrechts und anderer liberaler Szenarien, welche die Franzosen jetzt selbst legendes nennen, scheint mir die Zeit noch nicht reif zu sein. Wir werden aber hoffentlich bald auch darin klüger werden.

Clara und die Kinder senden Dir und Deinen Kindern viele herzliche Grüße. Willi wird in der Vorbereitung zu seiner mündlichen Prüfung, welche im Herbst statt finden soll, ruhig in Berlin bleiben; es wird ihm seiner Zeit eine gründliche Erholung sehr zu gönnen sein.

In herzlicher Liebe
Dein Bruder
Immanuel