Berlin den 17ten Juli 1878
Lieber Karl!
Du wirst inzwischen die Flottwellsche Biographie von Adalbert in Marienwerder empfangen haben und ist die Sache hiermit als erledigt zu betrachten. Deine erste Nachricht, die Du mir nach der Rükkunft von Würzburg gabst, habe ich sofort an Adalbert mitgetheilt, weil er sich im Besitz der Familienpapiere befindet und im Stande war, die Arbeit rasch und gut zu liefern. Bei Theodor war dies durchaus nicht zu erwarten; nicht deshalb weil es ihm an Interesse, oder Geist und Produktivität fehlt, sondern im Gegentheil damit so reichlich versehen ist, daß der Zweck bei ihm schwerlich zu erreichen war und jedenfalls viele und lästige Weiterungen entstanden sein würden; er hätte ein großes Werk von höchst subjektiver Färbung gefertigt, welches man hätte abkürzen und umarbeiten müssen. Ich habe ihm nun den Entwurf von Adalbert vorgelesen und mit ihm mehrere Amendments vereinbart, welche dann auch Adalbert berücksichtigt haben wird. Bei dieser Verhandlung habe ich mich mit ihm ganz gut verständigt, und wenn es ihm hinterher empfindlich geworden, daß ihm nicht die Sache übertragen wurde, so wird er mir allein die Schuld beigemessen haben und hat sich auch darüber beruhigt. |
Clara ist heute Morgen mit Clärchen wohlbehalten von Westpreußen zurückgekehrt, sehr befriedigt von dem Aufenthalt bei den Geschwistern erst in Lautensee bei Pauline und dann in Marienwerder bei Adalbert. Auch machte sie dazwischen einen Besuch in Danzig und erfreute sich ihrer schönen Vaterstadt. Am 3ten August denke ich mit Clara und Clärchen zur Benutzung meines Urlaubs zuerst nach Görbersdorf bei Waldenburg zu fahren, wo die Kinder wieder die Sommerwohnung, wie im vorigen Jahre, für sich und uns gemiethet haben. Zum 19ten August wünsche ich dann noch für 3 Wochen nach Johannisbad zu gehen, wo ich das Bad zu meiner Stärkung gebrauchen will, da es mir, wie ich meine, in den früheren Jahren stets gute Dienste geleistet hat. Ich spüre bei einer wachsenden Arbeitslast das zunehmende Alter und fühle mich wieder sehr abgespannt, so daß ich recht nach Ruhe verlange. Dir wird hoffentlich der Aufenthalt in Alexandersbad zur Erquikung dienen; ich habe mich im Jahr 1856 nach Franzensbad dort mit Friederike eine Woche lang aufgehalten; das Merkwürdigste war die Fahrt auf die Koßhaine mit einem Leiterwagen und 4 Ochsen vorgespannt. Von Luise Lommel hat Clara hier einen freundlichen Brief aus Brückenau vorgefunden. Clara läßt ihr vorläufig dafür sehr danken, mit dem herzlichen Wunsch, daß sie recht gestärkt zum Mann und Kindern in ihr Haus zurükkehren möchte. Du wirst es freilich vermißen, wenn die | fröhlichen Enkel nicht mehr Dein Haus beleben werden. Deine Nachrichten von Frau Gervinus und den Erinnerungen in Heidelberg haben mich sehr interessirt; es ist doch ein schöner Aufenthalt, der freilich nicht ausfüllen kann, was sonst das Leben fordert.
Die Wahlbewegungen sind auch hier, wie aller Orten im Reiche, lebhaft um Gang; ich nehme daran fast nur aus den Zeitungen Notiz; gestern Abend folgte ich einer Einladung in eine konservative Wahlversammlung, und wenn es dort auch ganz ordentlich zuging, so verließ ich sie doch mit dem Entschluß, mir künftig den Zeitverlust zu sparen. Auf das Resultat des Wahlkampfes sowohl im großen Ganzen, als in den einzelnen Kreisen und zwischen den bestimmten Personen muß man aber sehr gespannt sein. Bismark hat es unternommen, die national-liberale Parthei zu sprengen, weil ihre Führer Lasker, Bennigsen den Dienst versagt haben. Es ist merkwürdig, wie bei ihm die größeren Aktionen gewöhnlich in einem persönlichen Konflikt ihren unmittelbaren Ausgang nehmen. Nun ist die große, sonst so mächtige Parthei in ein wirres Durcheinander gerathen; sie haben alle ihren Schwerpunkt verloren und keiner weiß, in welchem Hafen er Rettung suchen soll. Mit Seelenruhe sieht das Centrum dem oft lächerlichen Schauspiel zu; es ist seines Besitzes und seines endlichen Sieges gewiß. Der Kampf | mit der Sozialdemokratie kann nur geführt werden, wenn der Kulturkampf gelöst ist. Beides zu gleicher Zeit geht nicht. Daher heißt es, daß Bismark in Kissingen mit dem Nuntius aus München verhandeln wolle; eine Verständigung wird nur zu erreichen sein, wenn er darauf verzichtet, von der römische Kirche ein Aufgeben ihrer Prinzipien zu verlangen. Zur Beseitigung des allgemeinen Stimmrechts und anderer liberaler Szenarien, welche die Franzosen jetzt selbst legendes nennen, scheint mir die Zeit noch nicht reif zu sein. Wir werden aber hoffentlich bald auch darin klüger werden.
Clara und die Kinder senden Dir und Deinen Kindern viele herzliche Grüße. Willi wird in der Vorbereitung zu seiner mündlichen Prüfung, welche im Herbst statt finden soll, ruhig in Berlin bleiben; es wird ihm seiner Zeit eine gründliche Erholung sehr zu gönnen sein.
In herzlicher Liebe
Dein Bruder
Immanuel
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Flottwell
, Adalbert von: Flottwell, Eduard Heinrich von, in: ADB 8 (1878), S. 280-283.
Flottwell
, Flottwell, S. 280-283
1876
Flottwell, Eduard HeinrichEduard Heinrich Flottwell11663107417861865Flottwell, Eduard Heinrich (1786–1865), preußischer Staatsmann, Minister und oftmaliger Oberpräsident, u. a. von 1841 bis 1844 Oberpräsident der Provinz Sachsen, 1849/50 Oberpräsident der Provinz Preußen, 1850 Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Schwiegervater Immanuel Hegels (1814–1891).
Flottwell, Adalbert JuliusAdalbert Julius Flottwell11663105818291909Flottwell, Adalbert Julius (1829–1909), in Marienwerder geborener Sohn Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und seiner zweiten Ehefrau Auguste Flottwell, geb. Lüdecke (1794–1862), der nach seinem 1849 begonnenen Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin preußischer Beamter und Politiker wurde. Verheiratet mit Ella (Else) Flottwell, geb. Oppen-Gatersleben (1841–1916), war er von 1861 bis 1868 Landrat von Meseritz in der Provinz Posen, gleichzeitig von 1866 bis 1868 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, dann von 1868 bis 1872 Landesdirektor im Fürstentum Waldeck-Pyrmont, von 1872 bis 1875 Kabinettsminister im Fürstentum Lippe, von 1875 bis 1880 Regierungspräsident in Marienwerder, dazu von 1878 bis 1881 Mitglied des Deutschen Reichstages, sowie ab 1880 Präsident des seit 1871 bestehenden preußischen Bezirks Lothringen in Metz. Bis 1902 war er schließlich Direktor der Schlesischen Bodenkreditbank.
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Flottwell, Johanna Pauline, geb. Frantzius
-18341897Flottwell, Johanna Pauline, geb. Frantzius (1834–1897), siehe auch: Frantzius, Johanna Pauline.
Lommel, Luise, geb. Hegel
Luise Lommel, geb. Hegel-18531924 Lommel, Luise, geb. Hegel (1853–1924), Ehefrau des Physik- und Mathematik-Professors Eugen Lommel (1837–1899); siehe auch: Hegel, Luise (1853–1924).
Lommel, Eugen Cornelius JosephEugen Lommel10427615018371899Lommel, Eugen Cornelius Joseph (1837–1899), in der Rheinpfalz geborener Physiker und Mathematiker, der von 1854 bis 1858 an der Universität München studierte, Lehrer in der Schweiz und dann Privatdozent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich wurde. 1867/68 war er Professor an der land- und forstwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim und von 1868 bis 1886 Ordinarius an der Universität Erlangen, schließlich an der Universität München. Er war der Ehemann Luise Hegels (1853–1924), der zweitältesten Tochter Karl und Susanna Maria Hegels (1826–1878).
Gervinus, Victorie, geb. Schelver
Victorie Gervinus, geb. Schelver11659528018201893Gervinus, Victorie, geb. Schelver (1820–1893), war Musikwissenschaftlerin, Tochter des Mediziners, Botanikers und Naturphilosophen Franz Josef Schelver (1778–1832) und Ehefrau Georg Gottfried Gervinus’ jun. (1805–1871).
Bismarck, Otto11851136X18151898Bismarck, Otto (1815–1898), in Schönhausen an der Elbe geborener preußischer und deutscher Politiker, der 1850 Mitglied des Erfurter Unionsparlaments war, von 1862 bis 1890 preußischer Ministerpräsident, zugleich von 1867 bis 1871 einziger Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes und von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reiches.
Lasker, Eduard11856984818291884Lasker, Eduard (1829–1884), in der preußischen Provinz Posen geborener Jurist und Politiker jüdischen Bekenntnisses, der nach anfänglichem Studium der Mathematik und Philosophie an der Universität Breslau Rechtswissenschaften studierte. Als Mitglied der Deutschen Fortschrittspartei gehörte er 1866/67 zu den Begründern der Nationalliberalen Partei und führte deren linksliberalen Flügel mit dem Ziel der Stärkung des Parlamentarismus an.
Bennigsen, Rudolf11850913618241902Bennigsen, Rudolf (1824–1902), in Lüneburg geborener Politiker, der an den Universitäten Göttingen und Heidelberg Rechtswissenschaften studierte und 1866/67 zu den Gründern der Nationalliberalen Partei gehörte, von der sich 1880 der linke Flügel mit Eduard Lasker (1829–1884) abspaltete.
Masella, Gaetano Aloisi13295842218261902Masella, Gaetano Aloisi (1826–1902), Priester und Bischof der römisch-katholischen Kirche, der im Jahre 1877 zum Apostolischen Nuntius in München ernannt wurde, 1879 als Nuntius nach Portugal wechselte und 1883 zum Kurienkardinal in der römischen Kurie berufen wurde.
Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Marienwerder (Pommern)53.7335842,18.9319222Etwa 500 Kilometer nordöstlich von Berlin und südlich von Danzig gelegene Stadt in Pommern, die nach der ersten Teilung Polens im Jahre 1772 Sitz der Verwaltung des gleichnamigen Regierungsbezirkes wurde.
Würzburg49.79245,9.932966Alte Bischofsstadt am Main, etwa 100 Kilometer nordwestlich von Nürnberg und etwa 110 Kilometer südöstlich von Frankfurt am Main auf der Fränkischen Platte zwischen Steigerwald im Osten und Spessart im Westen gelegen.
WestpreußenNach der Ersten Teilung Polens 1772 entstandene preußische Provinz, im Norden zwischen Ostpreußen und Pommern gelegen und u. a. das Kulmer Land, Pomesanien und Pomerellen umfassend.
Lautensee53.94772,19.29229Etwa 40 Kilometer südlich von Elbing und etwa 560 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegener Gutsbezirk in Westpreußen.
Danzig54.3706858,18.61298210330077Ehemalige Hansestadt und alte Handelsstadt an der Ostsee, etwa 500 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegen. Im Jahre 1815 kam sie ans Königreich Preußen.
Görbersdorf50.6852363,16.2333222Etwa 15 Kilometer südlich von Waldenburg am Rande des Riesengebirges gelegener heilklimatischer Kur- und Badeort.
Waldenburg50.7659054,16.2825424Etwa 75 Kilometer südwestlich von Breslau am Rande des Riesengebirges gelegene, sich rasche entwickelnde Handels- und Industriestadt im Landkreis Waldenburg.
Johannisbad50.6305685,15.7806938Etwa 150 Kilometer südwestlich von Breslau auf circa 520 Meter Höhe im böhmischen Riesengebirge gelegen.
Alexandersbad50.0165192,12.0157353Im Fichtelgebirge gelegener Kurort, etwa zwei Kilometer südlich von Wunsiedel, benannt nach dem letzten, im Jahre 1791 abgedankten Markgrafen Alexander von Brandenburg-Ansbach-Bayreuth (1736-1806).
Franzensbad50.1223741,12.3488519Westböhmisches Kurbad, nach seinem Begründer, dem Römischen Kaiser Franz II. (1768-1835), benannt, etwa sieben Kilometer nördlich von Eger gelegen.
Kösseine49.9876869,11.9798124Etwa sechs Kilometer von Alexandersbad im Fichtelgebirge entfernter, 940 Meter hoher Berg.
Brückenau50.3101036,9.7892824Heilbad in der Rhön, seit 1816 zum Königreich Bayern gehörend.
Heidelberg49.4093582,8.694724Alte Universitätsstadt am Neckar, seit 1803 zum Großherzog Baden gehörend und mit Eisenbahnanschluß seit 1840. Circa 90 Kilometer südlich von Frankfurt am Main gelegen, war die Stadt mit ihrer malerischen Schloßruine einer der Hauptorte der Romantik.
Kissingen50.1985698,10.0746833Kur- und Badeort an der Fränkischen Saale, nordwestlich der alten Reichsstadt Schweinfurt am Südhang der Rhön gelegen, seit 1814 zum Königreich Bayern gehörend.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Nationalliberale ParteiAls Abspaltung des rechten Flügels der Deutschen Fortschrittspartei gegründete Partei, die vor allem die Interessen des national und liberal denkenden Bildungs- und Besitzbürgertums in einem konstitutionellen parlamentarischen Rechtsstaat vertrat.
Zentrum (Deutsche Zentrumspartei)Sich im Jahre 1870 aus katholischen Abgeordneten des Preußischen Abgeordnetenhauses bildende Partei, die im sog. Kulturkampf eine Hauptrolle im Kampf gegen Bismarcks Politik spielte.
SozialdemokratieDie aus Arbeitervereinen hervorgegangenen Parteien wie der 1863 von Ferdinand Lassalle (1825-1864) gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein und die 1869 von August Bebel (1840-1913) und Wilhelm Liebknecht (1826-1900) gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands schlossen sich 1875 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zusammen.
„Kulturkampf“Begriff für die Auseinandersetzungen von 1871 bis circa 1878 zwischen Reichskanzler Otto Bismarck (1815-1898) und der katholischen Kirche um deren (politischen) Einfluß auf den Staat des Deutschen Reiches.