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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 5. Oktober 1878

Lieber Manuel!

Ich sende Dir mein Opusculum über die Dante-Commentare1, bloß damit Du Kenntniß nimmst, womit ich mich im Laufe des Jahres und besonders während der Krankheit meiner liebsten Susanna vorzugsweise beschäftigt habe. Dantes Gedicht2 gewährte mir eine gewisse nicht Glaubens- aber Herzensbefriedigung, und ich studierte die umfänglichen Commentare daneben bloß zum Zweck der historischen Kritik, worauf meine Arbeit sich bezieht. Diese kann Dich kaum interessieren.

Ich schrieb Dir zuletzt zu Deinem Geburtstag3. An diesem selbst war ich in Nürnberg in der Sitzung des Germanischen Museums, wie auch wieder an folgendem Tage. Ich traf eine Versammlung von 26 Personen4 viel zu zahlreich für die Berathung; doch zum Glück sprachen nur wenige. Von auswärtigen Mitgliedern fand ich zum Theil dieselben Genossen, mit denen ich gewöhnlich in Berlin und München zusammen bin: Waitz, Giesebrecht, Dümmler, Wattenbach; unter den einheimischen aus Nürnberg die Vettern Friedrich Grundherr und Theodor Tucher. Die Berathung bezog sich vornehmlich auf Feststellung des Jahresbudget, dessen Betrag sich schon auf die stattliche Summe von 105000 Mark beläuft. Von den bedeutenden Neubauten und Erweiterungen der Sammlungen nahmen wir Kenntniß und Einsicht.

Mit den oben genannten Genossen zusammen reiste ich am 25. September Nachmittag nach München zur Historischen Commission, die in den folgenden Tagen stattfand.5 Ich wohnte bei Anna; sie sieht recht wohl aus, obgleich sie die Sorge für ihren Otto noch nicht überwunden hat und recht ängstlich mit ihm ist. Auch zur Reise nach Düsseldorf ist sie deshalb nicht gekommen, wie ich wohl schon schrieb. Ihrem Mann Felix geht es besser, seitdem er im Seebade war; wenn er nur nicht wieder zu angestrengt arbeitet! er ist ungeheuer strebsam und voll von Ideen, die ihn treiben und ihm keine Ruhe lassen; das ist sehr aufreibend.

Ich war nicht in der Stimmung, mich wie sonst an dem gesellschaftlichen Getreibe, womit die Münchener Freunde und Collegen uns zu beehren pflegen, zu betheiligen – doch war ich einen Mittag im kleinen Kreis bei Döllinger, der immer noch geistig und körperlich rüstig ist, nur etwas weniger gut hört: ich stehe mit ihm auf gutem Fuß und schätze ihn hoch wegen seines feinen Geistes und seiner umfassenden Bildung. Die Tante Thekla und ihre Tochter Wilhelmine Harsdorf und den guten dicken Sigmund, ihren Sohn, sah ich an einem Abend bei Brockdorfs. Caroline ist wohl und hat sich in einer schönen Wohnung in der Barrerstraße gegenüber der neuen Pinakothek glänzend eingerichtet; ihr Mann hat eine Erbschaft in Schleswig gemacht.

Noch mußte ich in München ein Special-Examen von Geschichtslehrern abhalten und kehrte am vergangenen Donnerstag, den 3. October von dort zurück. Mein guter Mundel liegt leider noch immer zu Bett, jetzt schon seit 2 Monaten; das Blasenleiden hat einen chronischen Charakter angenommen und ist noch nicht gänzlich gehoben; große Vorsicht wird wegen möglicher Rückfälle empfohlen. Übrigens ist er munter, nährt sich gut, liest viel oder spielt Dame und Schach, ohne jemals Ungeduld zu zeigen. Den anderen Kindern geht es gut, wie auch im Lommel’schen Hause.

Ich grüße die liebe Clara und Eure Kinder

Dein Bruder Karl.