Berlin den 12ten October 1878
Lieber Karl!
Zunächst habe ich Dir für die Mittheilung Deiner neuesten Schrift über die älteren Dante-Kommentare meinen herzlichen Dank auszusprechen. Es ist dies wieder ein Zeugniß Deines gründlichen Fleißes und Deines scharfsinnigen Urtheils; ich habe davon mit großem Interesse Kenntniß genommen, da es auch dem Laien in einen sehr wichtigen und grundlegenden Theil der Dante-Literatur einen lehrreichen Einblick gestattet. Ebenso mußte es mich erfreuen, daß Du auf diesem Wege neues erhebliches Material zur Vertheidigung Deiner Ansicht in dem brennenden und von weiten Kreisen mit Aufmerksamkeit verfolgten Streit über Dino Compagni gewonnen hast. Dein Standpunkt und Auftreten in dieser merkwürdigen Streitsache konnte von vorne herein nur meine herzliche Theilnahme erwecken, da Du Dich verpflichtet fandest, eine anmaaßliche und Dich überstürzende Kritik gegen ein bis dahin mit Recht sachgeachtetes Werk in ihre Schranken zurükzuweisen. Es ist diese Kritik auch nur eine Erscheinung des modernen Liberalismus, der, stark in der Auffindung vorhandener Mängel, anstatt sich auf ihre Besserung zu beschränken, gleich zur Verwerfung, Abschaffung und Vernichtung | des bestehenden Ganzen fortschreitet. Er bereitet darauf ein Feld von Trümmern, unter denen kein Mensch mehr zu leben Lust hat.
Du hast auch meines Geburtstages in brüderlicher Liebe gedacht, und ich danke Dir herzlich für Deine freundlichen Wünsche. Man kann in unserem Alter recht dankbar sein, wenn sich ein Lebensjahr in gutem Frieden und ohne wesentliche Störung verlaufen und vollendet hat, und ich muß für viel Gutes, das ich empfangen und erfahren habe, Gottes Gnade loben und preisen. Auch die Zeit der Erholung, die ich in Görbersdorf und Johannisbad zubringen durfte, hat mir zur Stärkung gedient, und wenn auch manche kleine Unbillen, wie Katarrh, Magenbeschwerden und dergleichen mir den alten Körper behelligen, so hat er doch in leidlichem Gang bis jetzt erhalten werden können. Auf dem Rükweg besuchten wir die Kinder in Waldenburg, um hier noch ihre Dienstwohnung in dem vom Kreise neu erbauten stattlichen Ständehaus kennen zu lernen und zu Rudels Genugthuung gebührend zu bewundern. Man muß auch anerkennen, daß er in rühriger Thätigkeit viel zu Stande zu bringen weiß. Nach diesem letzten Ruhepunkt ging es nun nach Berlin zurük, wo wir uns herzlich freuten, den guten Willi wohlgemuth wiederzufinden. Er hat treu und fleißig Haus gehalten und wird hoffentlich bald | – er schweigt über den Termin der Schlußprüfung – von der Examenslast befreit werden. – Hier fand sich nun für mich viel Arbeit nach vielen Richtungen hin und hat es lange gedauert bis ein gemächlicheres Tempo wieder eingehalten werden konnte. In unserem Hause war auch bereits Schwager Adalbert, als Reichsbote und unser Gast eingekehrt. Die Verhandlungen des Reichstags werden wohl die nächste Woche hindurch dauern, und die Regierung dürfte mit dem Ausgang im Wesentlichen zufrieden sein können, da sie auch die Unterstützung eines erheblichen Theils der Nationalliberalen gewonnen zu haben scheint. Doch ist dies erst das Ende des Anfangs und die Einleitung zu einem wüthenden Verzweiflungskampf. Das ist ja unvermeidlich und muß wie alle Kämpfe mit den Geistern der Revolution als ein allgemeines Uebel der Neuzeit ertragen werden; wenn nur nicht gleichzeitig damit der unglükselige Kulturkampf, durch welchen die christliche Kirche überhaupt und das Christenthum im Volke untergraben wird, verknüpft wäre, und es ist nicht abzusehen, wie dieser Kampf zum Frieden gelöst werden soll.
Du hast auch mancherlei Wanderungen in Deinen Ferien unternommen und ich wünsche herzlich, daß sie Dir zur Stärkung mögen gedient haben. Von Deiner Anwesenheit in Nürnberg in Veranlassung des germanischen Museums und in | München bei der historischen Kommission haben die Zeitungen berichtet. In Alexandersbad, das ich in früherer Zeit auch kennen gelernt habe, mag es Dir wohl etwas einsam gewesen sein, und zu einer anstrengenden Wasserkur bist Du auch nicht disponirt. Ein Aufenthalt in den Alpen möchte Dir zuträglicher sein, und ist für Euch doch leicht zu erreichen. – Das fatale Leiden des guten Mundel bedaure ich von ganzem Herzen und ich kann mir vorstellen, wie sehr Dich dieses Uebel in seiner Hartnäkigkeit mit Sorge erfüllt und Du darauf Bedacht nimmst, daß es gründlich beseitigt werde; es könnte sonst leicht für den armen Jungen ein Mißgeschick des Lebens werden. Da Du in München die Tante Thekla gesprochen hast, so möchte ich wissen, was Du durch sie von der armen Anna Mangelsdorf in Leipzig erfahren hast. Während der Mann unheilbar der Gehirnvernichtung verfallen ist, soll sie an einem Rükenmarksleiden, das sie sich durch die Pflege zugezogen hat, darniederliegen.
Vater Steinmeyer, den ich kürzlich besuchte, um ihn zu einem wissenschaftlichen Vortrag im Evangelischen Verein zu bereden – aber wieder vergeblich, da er völlig überzeugt ist, bis zu Neujahr entweder zu sterben oder doch ganz zu erblinden, inzwischen aber in jedem Jahr ein neues gelehrtes Werk fertig macht – hat sehr bedauert, Dich in Erlangen, als er im Herbst seinen Sohn besuchte, nicht anzutreffen und wünschte Dir angelegentlich empfohlen zu werden. |
Clara und die Kinder grüßen herzlich. Mit treuen Wünschen Dein Bruder Immanuel
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Hegel
, Karl: Über den historischen Werth der älteren Dante-Commentare. Mit einem Anhang zur Dino-Frage, Leipzig 1878.
Hegel
, Dante-Commentare
1878
Neuhaus
, Helmut: Karl Hegel – Historiker im 19. Jahrhundert. Unter Mitarbeit von Katja Dotzler, Christoph Hübner, Thomas Joswiak, Marion Kreis, Bruno Kuntke, Jörg Sandreuther und Christian Schöffel (= Erlanger Studien zur Geschichte, Bd. 7/Katalog zur Ausstellung des Instituts für Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg vom 20. November bis 16. Dezember 2001), Erlangen, Jena 2001.
Karl Hegel – Historiker im 19. Jahrhundert
2001
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Neuhaus
, Helmut: 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Eine Chronik, München 2008.
Neuhaus
, 150 Jahre Historische Kommission
2008
Dante AlighieriDante
https://www.deutsche-biographie.de/pnd118523708.html
11852370812651321Dante Alighieri (1265–1321), in Florenz geborener italienischer Dichter und Philosoph.
Compagni, Dino1189110901246/471324Compagni, Dino (1246/47–1324), in Florenz geborener Tuchhändler, Politiker und Chronist. Über die Echtheit seiner Chronik der Stadt Florenz stritten sich in der deutschen Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert Paul Scheffer-Boichorst (1843–1902), der die Fälschungsthese vertrat, und Karl Hegel (1813–1901), der die Echtheit der Chronik bewiesen hat.
Bitter, Rudolf11619799418461914Bitter, Rudolf, der Jüngere (1846–1914), in Merseburg geborener preußischer Verwaltungsjurist und Politiker, Sohn (Hans) Rudolf Bitters, des Älteren (1811–1880), und Anna Bitters, geb. Nauen, 1819–1885) sowie Ehemann Marie Bitters, geb. Hegel (1848–1925). Nach seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Berlin, Bonn und Lausanne ging er im Jahre 1873 in den preußischen Verwaltungsdienst in Posen, wurde 1875 Landrat im schlesischen Kreis Waldenburg, wechselte von 1882 bis 1888 und in den Jahren 1898/99 (als Ministerialdirektor) ins preußische Innenministerium, wurde 1888 Regierungspräsident in Oppeln, 1899 Oberpräsident der Provinz Posen. Von 1879 bis 1888 war er als Mitglied der Freikonservativen Fraktion Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.
Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Flottwell, Adalbert JuliusAdalbert Julius Flottwell11663105818291909Flottwell, Adalbert Julius (1829–1909), in Marienwerder geborener Sohn Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und seiner zweiten Ehefrau Auguste Flottwell, geb. Lüdecke (1794–1862), der nach seinem 1849 begonnenen Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Berlin preußischer Beamter und Politiker wurde. Verheiratet mit Ella (Else) Flottwell, geb. Oppen-Gatersleben (1841–1916), war er von 1861 bis 1868 Landrat von Meseritz in der Provinz Posen, gleichzeitig von 1866 bis 1868 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, dann von 1868 bis 1872 Landesdirektor im Fürstentum Waldeck-Pyrmont, von 1872 bis 1875 Kabinettsminister im Fürstentum Lippe, von 1875 bis 1880 Regierungspräsident in Marienwerder, dazu von 1878 bis 1881 Mitglied des Deutschen Reichstages, sowie ab 1880 Präsident des seit 1871 bestehenden preußischen Bezirks Lothringen in Metz. Bis 1902 war er schließlich Direktor der Schlesischen Bodenkreditbank.
Hegel, Sigmund (Mundel, Mundulus, Munerle)Sigmund Hegel11657085718631945Hegel, Sigmund (1863–1945), sechstes Kind (zweiter Sohn) Karl (1813–1901) und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878), Mitglied des Corps Onoldia in Erlangen, Chemiker, Kaiserlicher Geheimer Regierungsrat am Reichspatentamt in Berlin.
Mangelsdorf, Edmund-18191879Mangelsdorf, Edmund (1819–1879), Ehemann von Anna Sophia Maria Mangelsdorf, geb. Tucher (1842–1935), Kaufmann in Leipzig, der in einer Leipziger Verlags- und Sortimentsbuchhandlung gelernt hat. Seine erste Ehefrau stammte aus einer alten Leipziger Buchhändlerfamilie.
Steinmeyer, Franz Ludwig11726315X18111900Steinmeyer, Franz Ludwig (1811–1900), aus Brandenburg stammender evangelischer Theologe, der nach Tätigkeiten als Geistlicher von 1852 bis zu seinem Ruhestand ordentlicher Professor an der Universität Berlin war, lediglich von 1854 bis 1858 zur Wahrnehmung eines Ordinariats an der Universität Bonn unterbrochen.
Steinmeyer, Emil EliasElias Steinmeyer11861755918481922Steinmeyer, Emil Elias (1848–1922), in der Nähe Potsdams geborener, aus preußischem Pfarrhaus stammender Germanist und Altphilologe, der nach seinem Studium an der Berliner Universität von 1873 bis 1877 außerordentlicher Professor für germanistische Mediävistik an der Universität Straßburg war, anschließend bis 1913 Ordinarius für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Erlangen.
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Görbersdorf50.6852363,16.2333222Etwa 15 Kilometer südlich von Waldenburg am Rande des Riesengebirges gelegener heilklimatischer Kur- und Badeort.
Johannisbad50.6305685,15.7806938Etwa 150 Kilometer südwestlich von Breslau auf circa 520 Meter Höhe im böhmischen Riesengebirge gelegen.
Waldenburg50.7659054,16.2825424Etwa 75 Kilometer südwestlich von Breslau am Rande des Riesengebirges gelegene, sich rasche entwickelnde Handels- und Industriestadt im Landkreis Waldenburg.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Alexandersbad50.0165192,12.0157353Im Fichtelgebirge gelegener Kurort, etwa zwei Kilometer südlich von Wunsiedel, benannt nach dem letzten, im Jahre 1791 abgedankten Markgrafen Alexander von Brandenburg-Ansbach-Bayreuth (1736-1806).
AlpenHöchstes, bis über 4800 Meter hohes Gebirge zwischen Mittel- und Südeuropa, das sich über 1200 Kilometer hinweg in einem weiten, zwischen 150 und 250 Kilometer breiten Bogen vom ligurischen Teil des Mittelmeeres im Westen bis in die ungarische Ebene im Osten erstreckt.
Leipzig51.3406321,12.3747329Am Zusammenfluß von Weißer Elster, Pleiße und Parthe gelegene Universitäts- und Messestadt in Sachsen.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
LiberalismusNeben dem Sozialismus und dem Konservativismus die dritte große politische Ideologie im 19. Jahrhundert, deren vielfältige Programme und Erscheinungsformen keine eindeutige Definition zulassen.
Nationalliberale ParteiAls Abspaltung des rechten Flügels der Deutschen Fortschrittspartei gegründete Partei, die vor allem die Interessen des national und liberal denkenden Bildungs- und Besitzbürgertums in einem konstitutionellen parlamentarischen Rechtsstaat vertrat.
„Kulturkampf“Begriff für die Auseinandersetzungen von 1871 bis circa 1878 zwischen Reichskanzler Otto Bismarck (1815-1898) und der katholischen Kirche um deren (politischen) Einfluß auf den Staat des Deutschen Reiches.
Germanisches Nationalmuseum NürnbergIm Anschluß an die Frankfurter Germanistenversammlung von 1846 im Jahre 1852 gegründetes Museum zur Präsentation der mit dem Fach „Germanistik“ umrissenen Kulturgeschichte.
Historische Commission/Kommission, MünchenIm Jahre 1858 in München auf Anregung des Berliner Historikers Leopold Ranke (1795-1886) vom bayerischen König Maximilian II. Joseph (1811-1864) bei seiner Akademie der Wissenschaften gegründete Institution zur Erforschung der deutsche Geschichte.
Evangelischer Verein (Berlin)Im Jahre 1851 gegründeter Berliner Zweigverein der Gustav-Adolf-Stiftung, der die Aufgabe hatte, öffentlicher Vorträge zu veranstalten.