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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 23. März 1879

Lieber Karl!

In Mitten vieler Unruhe und Arbeit will ich nicht länger säumen, Dir auf Deinen lieben Brief1 zu schreiben, insbesondere um Dir zu sagen, wie sehr wir uns auf Deinen Besuch zum 17ten kommenden Monats zur Germanischen Kommission freuen, und daß wir nicht allein sicher darauf rechnen, daß Du in gewohnter Weise in unserem Hause einkehrst, sondern Dich auch bitten möchten, Deine beiden Töchter d. i.2 die ledigen zur Begleitung mitzubringen. Darüber wird Dir noch Clara das Weitere schreiben, da ihr diese Besorgung obliegt und sie es, so gut es geht, einzurichten hat. Sie würde schon heute einen Brief beilegen, wenn sie nicht durch Migraine im Bett festgehalten würde. Den beiden Mädchen würde es gewiß viel Vergnügen machen, einmal auch Berlin anzusehen, und es ist rathsam, die Gelegenheit zu benutzen; man kann immer nicht wissen, wie lange sie offenbleibt. Mein Schwager Adalbert, welcher jetzt als Reichstags-Abgeordneter bei uns verweilt, wird die Osterferien des Reichstags, welche bis Ende April dauern werden, anderwärts bei den Verwandten seiner Frau oder in Marienwerder zubringen. Den gestrigen – Königs Geburtstag3 – und den heutigen Feiertag4 hat er zu einem Ausflug zu seinem Schwager in der Ukermark benutzt; er ist eine leicht lebige, liebenswürdige Natur.

Gestern hat uns August von Tucher, der Vetter von der Feldmühle, durch seinen Besuch überrascht; da ich nicht zu Hause war, werde ich erst Morgen Mittag ihn zu sprechen Gelegenheit haben. Er besucht hier die Molkerei-Ausstellung5 und will auch die Mellenthinschen Verwandten6 in Pommern aufsuchen.

In dieser Woche wird noch anderer Verwandten-Besuch uns erfreuen. Da meine Nichte Gretha am Mittwoch7 von Müllensiefen eingesegnet wird, so erwarten wir morgen meine Schwägerin Pauline von Danzig mit ihrer ältesten Tochter Auguste, welche sich kürzlich mit einem schlanken Husaren-Lieutenant John Douglas verlobte. Alle Betheiligten sind mit dieser Verbindung sehr zufrieden; der Bräutigam ist Sohn eines reichen Gutsbesitzers bei Königsberg in Preußen. So nehmen alle diese Verhältnisse ihre naturgemäße Entwicklung.

Willy schreibt sehr vergnügte Briefe aus Paderborn; er hat sich mit jugendlichem Sinne dem Strom der Geselligkeit hinzugeben, der nun aber jetzt in der Fastenzeit8 ruhiger fließen wird. Ich erwarte nicht, daß er uns zu Ostern9 besuchen werde und habe ihm selbst gerathen, wenn er Urlaub erhalten sollte, sich am Rhein oder in dem höchst interessanten südlichen Westfalen umzusehen. Es liegt ihm dies nahe und wenn der Kulturkampf zu Ende geht – was freilich möglicher Weise noch lange anstehen kann – wird auch seine Stellung in Paderborn aufhören. – Von den Kindern in Waldenburg haben wir gute Nachrichten; Rudel ist wieder rührig in amtlicher Thätigkeit und das war für ihn zuletzt das beste Heilmittel.

Gestern feierten wir Kaisers Geburtstag; diesmal doch mit Wehmuth, da der Unfall, der ihn betroffen10, bei seinem Alter nur langsam überwunden wird und dabei nachtheilige Folgen für sein Gesamtbefinden befürchtet werden. Sein Abscheiden wird einen ernsten Wendepunkt in unserem Vaterland bezeichnen.

Clara sendet herzliche Grüße aus dem Bette; Clärchen außer demselben.

In herzlicher Liebe
Dein Bruder
 Immanuel