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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Ems, 31. Juli 1879

Lieber Karl!

Deinen lieben Brief vom 26sten dieses Monats1 haben wir hier empfangen und uns an den guten Nachrichten erfreut, die er uns brachte. Es wird Dir bei dem warmem Sommerwetter, das jetzt endlich mit einiger Dauer eingetreten ist, gewiß auch recht erquiklich sein, in dem schönen Schwarzwald umherzuwandern zwischen grünen Wiesen und im stillen kühlen Tannenwald. Wir sind am vergangenen Freitag, den 25sten diesen Monats Vormittags hier bei schönem Wetter eingetroffen. Am Dienstag den 22sten diesen Monats fuhren wir auf der neuen Berlin-Wetzlar-Bahn über Nordhausen beim Kyfhäuser vorbei bis Cassel, wo wir gemüthlich den Mittwoch verweilten, die schöne Bildergallerie mit herrlichen Titians, Rembrandts, Rubens und vielen mehr besuchten, in der schönen Aue mit den herrlichen Alleen spazierten und am Nachmittag Wilhelmshöhe besuchten, wo auch die berühmten Wasser sprangen.2 Am Donnerstag fuhren wir zuerst nach Marburg, besuchten das Schloß auf der Höhe, stolperten durch die winklichte Hessenstadt, besahen das höchst interessante und stattliche neue Universitäts- gebäude und aßen gut zu Mittag im unveränderten alten Ritter. Beinahe hätte ich aber den Anfang des Aufenthalts, die schöne St. Elisabethkirche vergessen. – Am Nachmittag fuhren wir über Gießen bis Wetzlar; ich wählte dies Quartier zur Nacht einerseits um die Erinnerungen der Jugend – 18343 – aufzufrischen, andererseits um in Ems Vormittags anzukommen und hier Zeit zur Einquartierung zu haben. In Wetzlar wurde die alte, ruinenartige Kirche4 – ein Denkzeichen des alten deutschen ReichsLottes Zimmer mit einigen dürftigen Bildern und Scharteken5, Göthes Brunnen vor der Stadt und endlich das Meyersche Haus6 vor der Stadt besucht. Wir fanden es im Besitz des Rechtsanwalts Ahlefeld, den wir auch zu Hause trafen; wir stiegen in dem sehr verwilderten Garten zu dem Pavillon hinauf, wo uns Guido seine Lieder vorpfiff und besuchten in dem anstoßenden Grundstück die alte Mutter, Postmeister Ahlefeld, zwar recht altersschwach und taub, aber doch immer noch anmuthig; es gab ein herzliches Wiedersehen. – Der Freitag Morgen endlich brachte uns über Limburg, Nassau, die Lahn hinunter nach dem schönen Ems. Wie wir hier eben angefangen hatten, uns nach Quartier umzusehen, begegneten wir Fräulein Elise von Radelschwinge, die uns zu ihrer Villa – bella Riva – führte, wo wir auch glüklicher Weise gerade noch Quartier fanden. Es ist eine sehr stattliche, vortreffliche Pension mit guter Verpflegung und verhältnißmäßig wohlfeil; etwas auf der Höhe unmittelbar am Berge mit dem schönsten Buchenwald gelegen mit herrlichem Ueberblick des anmuthigen Thals. Allerdings ist es eine Viertelstunde vom Kur-Brunnen entfernt; dies ist aber für uns keine Beschwerde. So hoffen wir nun die vier Wochen angenehm verleben und auch den Brunnen mit Nutzen gebrauchen zu können. Bekannte haben wir, was uns auch ganz lieb ist, nur wenige gefunden; Konsistorialrath Carne aus Stettin, mit dem wir gestern Nachmittag Nassau mit der schönen Burg und dem sehr gelungenen Stein-Denkmal besuchten, und den alten Minister Windhorst, das berühmte Haupt der Ultramontanen, mit dem es sich herrlich plaudern läßt und der, wenn er uns Morgens am Brunnen begegnet, gern meiner Frau eine Rose verehrt.

Die ersten Tage hier wurde ich amtlich sehr beschäftigt, weil Büchsel mich von heftigen Stürmen im Konsistorium in Kenntniß setzte, die meine Intervention nothwendig machten. Hoffentlich wird sich dies auch wieder beruhigen, wie in der großen Politik, da jetzt Alles auf Reisen gegangen ist.

Clara trägt mir herzliche Grüße auf; von Klärchen haben wir aus Wernigerode auch gute Nachrichten; Willy hat seinen Bischof Martin feierlich begraben.7

Mit herzlichen Grüßen an Deine Kinder

Dein Bruder
Immanuel