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Karl Hegel an Luise Lommel, geb. Hegel, Bad Rippoldsau, 19. August 1879

Meine liebe Luise!

Mit vieler Freude habe ich Deinen Brief aus Rupprechtstegen hier im Schwarzwald empfangen. Es freut mich, daß Ihr noch einen kurzen Ausflug nach dem Fichtelgebirg unternommen habt, wobei Ihr auch durch das schöne Wetter begünstigt wart. Wenn Ihr nach Wunsiedel gekommen seid – Jettens Heimat – so werdet Ihr sicher auch Alexandersbad und die romantische Felsenburg, welche Deinen Namen trägt, besucht haben. Jetzt seid Ihr wieder zurück in Erlangen und das Wetter ist herzlich schlecht geworden. Es regnet seit gestern mit wenigen Unterbrechungen fest; die Wolken hängen tief über die Wälder an den Bergen herunter und die kühle Luft macht das Sitzen im Freien unbehaglich. Um so mehr schließt das gegenseitige Bedürfnis die bunt zusammengeworfene Gesellschaft aneinander, wo sich die gleichartigen Bestandtheile instictmäßig anziehen und die fremdartigen abstoßen.

Frau Gervinus traf mit ihrer Freundin Pauline Bauer (aus Schwaben, jetzt in Berlin Schwägerin von Professor Zeller) am Tage nach uns ein. Sie kann sich doch ziemlich gut wieder auf ihren Füßen bewegen, wenn auch nur mit Vorsicht und langsam. Mittags und abends ist sie meine Nachbarin. Eine alte durch Gervinus vermittelte Bekanntschaft aus Neapel vom Jahre 18381 konnte ich erneuern mit dem damaligen Assessor, jetzt emeritirten Geheimen Ober Finanzrath Wilkens aus Berlin, der mit Frau und Tochter hier ist: die Frau eine Römerin, welche er zu jener Zeit in Neapel kennen lernte und sofort als seine Frau nach Hause brachte; sie hat sich in 41 Jahren gut eingelebt in Deutschland. Professor Knapp aus Straßburg , Nationalökonom, hat sich uns angeschlossen und hat am letzten Tanzabend (alle Woche wird einmal getanzt) Sophiechen mit einem Strauß beschenkt und den Vortanz mit ihr eröffnet; ich bemerke zur Entfernung von beiläufigen Gedanken, daß Professor Knapp verheiratet ist und seine Frau nach einem zurückgelassen hat. Sophiechen trinkt mit mir alle Tage zwei Gläser Josephsbrunnen und geht des Nachmittags mit mir spazieren. Außerdem hat sie einige nette junge Mädchen hier gefunden, mit denen sie sich unterhält und musicirt; sie mußte gestern Abend im Damensalon ihre Volkslieder vorsingen und hat viel Beifall bei den alten Herren und jungen Mädchen gefunden. Ich selbst spielte gestern Abend Whist mit Wilkens und Frau von Gemmingen2, einer sehr angenehmen feinen Dame, welche mit einer ihr gleichen Tochter uns bei Tisch gegenübersitzt. Es sind Engländer, Franzosen und besonders Norddeutsche hier; da der Aufenthalt sehr theuer ist, kommen weniger Süddeutsche hierher, doch lernten wir auch eine gute Schwäbin kennen. Frau Professor Hänel, deren Mann am Polytechnicum in Stuttgart ist.

Die kräftige Luft und das Wasser thun mir sehr gut und Sophiechen ist munter wie eine Forelle. Wir haben freundliche luftige Zimmer mit Aussicht auf den Berg, Wiese und Wald; unter uns rauscht das Flüßchen genannt Wolf. Der Ort Rippoldsau besteht nur aus den zur Brunnen- und Badestadt gehörigen Häusern und liegt in einem engen Waldthal am Fuße des Kniebis, über den wir von Freudenstadt her gekommen sind.3

Von Anna erhielt ich einen Brief aus Ebenhausen, wohin sie mit Mann, Kind und vielem Gepäck übersiedelt ist. Es gefällt ihr dort ausnehmend wohl und sie hat auch einigen Umgang unter den Gästen gefunden; dem kleinen Otto ging es bis dahin gut. Von Georg ist heute ein Brief an Sophiechen aus Bamberg eingetroffen; er lebt in Pracht und Herrlichkeit in dem Quartier einer Frau Barnim nebst zwei Töchtern. An Mariechen lege ich ein Blatt4 hier bei. Mundel ist nun wohl nach Simmelsdorf abgegangen, freilich zur Zeit gar nicht vom Wetter begünstigt.

Mit herzlichen Grüßen an Deinen lieben Mann, den ich sehr vermisse und oft gern bei mir hätte.

Dein treuer Papa.

P. S. Von Schwager Ulrich bin ich zu Gevatter bei seinem Kinde gebeten worden, welches am 25. dieses Monats getauft werden soll. Schwager August ist der andere Pathe.