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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 19. März 1880

Lieber Manuel!

Ich weiß nicht, ob Ihr schon die frohe Nachricht von der glücklichen Entbindung meiner Tochter Luise Lommel erhalten habt; wenn nicht, so zeige ich Euch hiermit an, daß sie, besagte Frau Lommel, am Montag den 15. Vormittag 10 Uhr ein gesundes, vollwangiges, blauäugiges und mit vielem dunklen Haupthaar ausgestattetes Mägdlein zur Welt gebracht hat also daß ihr Kinderbesitz nunmehr in drei Jungens und zwei Mädchen besteht. Die Eltern sind sehr glücklich über solchen Reichthum, und die liebe Wöchnerin, die auf das Selbstnähren von vorn herein verzichten mußte, befindet sich nach Umständen recht wohl. Dem kräftigen Kind scheint die verdünnte Kuhmilch auch ganz gut anzuschlagen. Meine Tochter Marie führt den Haushalt an Stelle der Wöchnerin und Hausfrau, wie vor wenigen Monaten erst in München.

Dort in München habe ich mich selbst, nach Schluß der Vorlesungen, vor einigen Tagen über den Sonntag umgesehen, da ich zugleich Archiv und Bibliothek zu benutzen hatte. Anna ist sehr frisch und sieht vortrefflich aus; auch dem kleinen blondlockigen Otto geht es besser, da seine Hustenanfälle und Beklemmungen seltener wiederkehren, und das kleine Mädchen, welches zur Zeit noch von der Amme ernährt wird, sieht sehr anmuthig aus; leider aber war Felix nervös so herunter, daß er noch vor Schluß des Semesters fort mußte nach Düsseldorf, um Luftveränderung zu haben und sich von seinen Arbeiten loszureißen. Der Umzug nach Sendling, welcher schon Mitte dieses Monats stattfinden sollte, ist auf Anfang April verschoben worden, und Anna wird ihn allein ohne die Hülfe lhres Mannes ausführen; sie unternimmt das mit Freude, um ihrem Mann die Beschwerde abzunehmen, trägt schwer nur an seinem Leiden und hält sonst kaum etwas für schwierig, klagt selbst nicht über ihr eher verschlimmertes als gleich gebliebenes Gehörleiden. Ich war auch mit ihr in Sendling, um die neue Wohnung zu sehen. Die Luft ist gewiß gesund genug, sie war an jenem Tag kalt und schneidig. Das leere Haus machte mir auch keinen besonders erfreulichen Eindruck; doch mag es sich wohl im Sommer dort ganz angenehm wohnen lassen; – ein Garten mit Kastanienbäumen liegt daran – aber wie wird es im Winter sein? Es ist immerhin ein recht gewagter Versuch.

Du schriebst mir von dem Unwohlsein der lieben Clara, welches in letzter Zeit noch schlimmer geworden sei. Ich bedaure sie sehr und wünsche von Herzen eine bessere Wendung, die vielleicht wie hoffentlich schon eingetreten ist. Sonst würde ich kaum wagen, Dein freundliches Anerbieten wie sonst bei Euch zu wohnen, auch dismal wieder anzunehmen, vorausgesetzt überhaupt, daß das so viel aufgesuchte Gastzimmer frei sei. Die Einladung zu den Sitzungen, die ich erst vor wenigen Tagen erhalten, geht auf den 15. April Donnerstag als den Anfang; am 13. in der Nacht gedenke ich einzutreffen.

Du wirst jetzt bei der Berliner Stadtsynode beschäftigt sein und neue Verdrießlichkeiten erfahren. Unterdeß hat sich plötzlich der Himmel über dem Kulturkampf aufgeklärt und verspricht sich bald mit einem strahlenden Regenbogen der Versöhnung zu überziehen. Man kann sich auf Bismark verlassen, daß er durchsetzt, was sich überhaupt erreichen läßt.

Mit herzlicher Erwiederung der übersandten Grüße, auch an den Schwager Adalbert, dessen Versetzung nach Metz mir leid thut.

Dein Bruder Karl