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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Erlangen, 2. Mai 1880

Lieber Manuel!

Mit reichen Eindrücken von der großen deutschen Hauptstadt und mit herzlichem Dank für Deine brüderliche Aufnahme in Deinem Hause und Claras schwesterliche Güte gegen mich bin ich nun bereits seit 1½ Wochen wieder in meinem eigenen Heim und der darin gewohnten Lebensweise: Meine Vorlesungen habe ich in voriger Woche begonnen. Zwei neue Collegen Luchs, der Philologe, und Schanz, der Nationalökonom, sind bei unserer Universität eingetreten; der Dritte, der Jurist Hölder wird erst morgen erwartet.

Mein Sophiechen bereitet sich zur Abreise nach Düsseldorf; um die lange Fahrt dorthin für sie weniger ermüdend zu machen, habe ich sie bei Wegele in Würzburg angemeldet, wo sie übernachten soll.

Bei Lommels hat sich das Hauskreuz1 eingestellt, daß Gottlieb, das älteste Kind, vor 8 Tagen von einer heftigen Lungenentzündung befallen wurde, an der er noch darniederliegt; doch befindet er sich heute, wie es scheint, auf dem Wege der Besserung, da das heftige Fieber zum erstenmal nachgelassen hat. Und als ob das Fieber eine ansteckende Krankheit sei, sind auch die drei folgenden Kinder seit einigen Tagen davon ergriffen; nur das jüngst geborene ist zur Zeit damit verschont. Luise hat es recht schwer, da sie als treue und sorgliche Mutter sich auch des Nachts nicht in der Pflege der Kinder ablösen lassen wollte; doch bestehe ich wenigstens heute darauf, wenn ich ihr Mariechen wie schon gestern Nacht zu Hülfe schicke, daß sie dieser die Kinder allein überläßt. Sophiechen lasse ich auch nicht früher reisen, als bis ich wegen der Lommelschen Kinder ruhig sein kann.

Der Umschlag der Witterung, die plötzlich sehr kühl wurde, so daß wir seit 8 Tagen wieder heizen, ist gewiß schuld an der Erkrankung der Kinder, obwohl sie in aller Weise behütet wurden. Ich fand die Vegetation hier weiter zurück als in Berlin und den Ostwind sehr scharf. Seit gestern ist es wieder milder; heute hörte ich am Rathsberg den ersten Kukuksruf!

Von der Allgemeinen deutschen Biographie ist ein neues Heft erschienen, welches endlich Erdmanns Hegel-Biographie2 bringt. Ich sah sie schon im Manuscript durch, wie ich Dir schrieb, und war sehr davon befriedigt; einiges ist nach meinen Bemerkungen jetzt geändert, nicht aber der Anfang, den ich auch jetzt noch geschmacklos finde: am Schluß vermisse ich die Erwähnung der Hegelfeier und Errichtung des Denkmals am 3. Juni 18713; ich habe deshalb an Erdmann geschrieben4, um ihn zu bewegen, dies noch in einem Nachtrag zu dem Bande im Schlußheft nachzuholen, damit das Verschweigen nicht als ein absichtliches Übel gedeutet werde. Wenn Du keine Gelegenheit hast, das Heft der Deutschen Biographie zu sehen, will ich Dir mein Exemplar schicken.

Adalberts Versetzung nach Metz ist nun entschieden, wie die Zeitungen melden. Sie ist ehrenvoll, legt ihm aber auch eine schwere Aufgabe auf. Ihr werdet ihn nun wohl seltener bei Euch sehen. Ich lasse ihn unter Glückwünschen herzlich grüßen.

Von Nürnberg wurde uns geschrieben, daß die gute Lina sich beinahe durch Morphium vergiftet hätte, da sie in der Nacht, um den Husten zu stillen, eine zu starke Dosis davon nahm, was ihr üble Zufälle verursachte; indessen ist der Unfall glücklich vorübergegangen.

Meine herzlichen Grüße an die liebe Clara und das stille Clärchen.

Treulich
Dein Bruder Karl.