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Karl Hegel an Anna Klein, geb. Hegel, Erlangen, 13. Mai 1880

Liebe Anna!

Dein letzter Brief vom 4. dieses Monats brachte überwiegend Erfreuliches.1 Die Entfernung des Wohnorts von der Stadt ist Euch nicht lästig; Felix findet seine Beschäftigung im Freien durch Gartenarbeit, die nur nicht wieder bis zur Anstrengung getrieben werden darf; auch für Otto kann man sich wohl Besserung seines Befindens bei längerem Aufenthalt versprechen, zumal jetzt die rauhen Tage vorüber sind, denn der heutige Servatius ist schon sehr mild. Der Witterungsumschlag von den früheren fast sommerlichen Apriltagen, die ich in Berlin vom 13.–21. zubrachte2, zu der am Ende des Monats eintretenden Kälte war besonders den Kindern sehr gefährlich. Von den Lommel’schen Kindern hatten 4 gleichzeitig das Fieber; bei Gottlieb und Lieschen wurde eine Lungenentzündung daraus; Gottlieb lag 14 Tage krank, Lieschen hat sich am vergangenen Freitag gelegt, und erst jetzt läßt das Fieber bei ihr nach.

Unser Mariechen hat schon eine Reihe, von Nachtwachen kann man nicht sagen, aber von Pflegenächten statt Luise, welche die nächtliche Unruhe nicht länger ertragen konnte, übernommen. Ich wünsche ihr sehr, daß ihr Kindersegen jetzt auf 10 Jahre zum Stillstand komme, sonst geht sie daran frühzeitig zu Grunde! Es war mir eine wahre Freude, daß sie gestern Abend seit langer Zeit zum ersten mal wieder eine Gesellschaft bei Zahns besucht hat, besonders Frau Zahn zu Liebe, die sie sehr gern hat.

Die neuen Collegen Schanz, Luchs und Hölder – nur der letztere ist verheiratet – haben bei uns Besuch gemacht. Hölder und Frau waren heute Nachmittag bei uns; sie kommen aus Greifswald, sind aber beide aus Süddeutschland, er aus Würtemberg; er sagte, daß er mit Felix in Göttingen zusammen gewesen sei.

In Berlin ging es mir sehr gut; ich habe im Hause von Manuel die Brüder Flottwell und außer unseren Sitzungen in der Akademie nur bei unseren Mittagessen unter den Linden, im zoologischen Garten und Flora, in Gesellschaften bei Sybel und Mommsen viele bedeutende Menschen gesehen und gesprochen und sonst auch die interessantesten Dinge in Augenschein genommen, wie die Sammlungen von Olympia in Gipsabgüssen, von denen man die Originale den Griechen schenken mußte, und die noch weit bedeutenderen von Pergamon, welche in den Marmororiginalen für Deutschland gewonnen zu haben, das alleinige Verdienst unseres Kaisers ist; ferner die Feuerbach-Ausstellung in der Nationalgallerie, und endlich die großartige, herrlich arrangierte Fischerei-Ausstellung, welche nicht bloß Fische aller Länder in jeder Art der Zustände wie der Zubereitung, sondern auch andere Produkte der Gewässer bis hin zu dem kostbarsten Perlenschmuck, und die auf Fischzucht und Fischfang bezüglichen Apparate – besonders anschaulich und erfreulich in den Abtheilungen von China und Japan dargestellt – vor den Augen des erstaunten Publicums in den ersten Tagen nach der Eröffnung ausbreitete.

Mein Bruder und Klara befinden sich wohl; Präsident Adalbert ist wie Du wohl gelesen hast, nach Metz versetzt worden. Lepsius sah ich in der Bibliothek; Wattenbach war in Constantinopel und Curtius in Griechenland.

Auch den Reichstag habe ich besucht, aber nicht länger als eine Viertelstunde darin ausgehalten. –

Unser Sophiechen ist am vergangenen Freitag bei sehr schlechtem Wetter abgereist, hat in Würzburg bei Wegele über Nacht sich ausgeruht und ist Samstag Abend glücklich in Düsseldorf angekommen, wie sie uns bisher nur durch 2 Correspondenz-Karten mitgetheilt hat.

Diesen Brief schicke ich noch heute Abend auf die Post, schreibe mir, wann er bei Dir angekommen ist. Die Karte an Felix wurde von mir am 24. zum Eilzug aufgegeben, der abends in München eintrifft; sie konnte hiernach doch wohl am 25. in Sendling sein! Oder ist die Postverbindung dorthin so unsicher.

Ich wünsche sehr, daß Du wenigstens alle 14 Tage hieher schreibst, wie bisher etwa zum Sonntag, d. h. so daß Du ihn nicht später als Freitag auf die Post gibst und der Brief am Sonntag Morgen hier ankommt. Ohne solche bindende Regelmäßigkeit geht der Briefwechsel, wie wir schon gesehen haben, bisweilen ganz ins Stocken.

Ich habe noch von den kalten Tagen her einen fürchterlichen Schnupfen; Georg schreit sich heiser bei seinen auf 10 Tage einberufenen Landwehrleuten. Möget Ihr von Ähnlichem beiderlei Art verschont geblieben sein! Herzlichen Gruß an Felix!

Der Deinige
Carl Hegel

P. S. Hast Du den Brief von Mariechen vor 3 Wochen nicht erhalten? Du erwähnst nichts davon.