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Karl Hegel an Georg Waitz, Erlangen, 20. Juli 1880

Theurer Freund!

Es drängt mich Ihnen vor allen Anderen auszusprechen, wie sehr ich durch die schweren Schicksalsschläge, welche die Direction der Monumenta Germaniae Historica seit unserer letzten Zusammenkunft betroffen, mitberührt worden bin. Die Nachricht von dem Tode unseres vortrefflichen Collegen Nitzsch hat mich um so mehr tief erschüttert, als sie mir völlig unerwartet kam, da ich von dem früheren Schlaganfall nichts gehört hatte. Wie fern stand uns jede Ahnung davon, als wir den nun schon zur Erde Bestatteten in unseren Sitzungen wie in unserem sonstigen geselligen Verkehr noch in seiner vollen Rüstigkeit und gewohnten Lebensfrische sahen! Ich habe ihn erst bei unserem wiederholten Zusammensein recht schätzen gelernt, in seinem so durchaus soliden Wesen, in seiner ganzen Tüchtigkeit, zugleich verbunden mit so viel Anspruchslosigkeit, und ich fühlte mich ganz besonders zu ihm hingezogen.

Und nun das andre große Unglück von Mommsen! Daß ich bei Allem, was die Zeitungen darüber berichtet haben, in seiner Schwere und in seinen Folgen nicht zu übersehn vermag. Ich bitte Sie mir mit einigen Zeilen zu berichten, wie er selbst es trägt, ob es wahr ist, daß seine Energie und Elastizität ungelähmt und ungeschwächt geblieben ist? und ferne, welche Verluste, ersetzliche oder unersetzliche, auf die Monumenta Germaniae Historica fallen? Die Bearbeitung des Jordanes sei vollendet, die der kleineren Chroniken begonnen, sagte der letzte Jahresbericht; war jene nicht schon in Ihren Händen oder zum Druck abgeliefert, so wird auch sie zugleich mit den Handschriften zu Grunde gegangen sein; wäre nur sie wenigstens gerettet, so könnte man sich eher über den Verlust der Handschriften trösten, ein schlechter Trost freilich für die Bibliotheken!1

Mein Bruder schreibt mir eben noch von einem dritten Unglück, nämlich dem, daß Lepsius von einem Schlaganfall betroffen worden ist2, was der traurige Vorbote des Endes zu sein pflegt.

Der Tod räumt auf in unserer Generation und jeder soll seines Endes gedenken und schaffen, so lange es noch Tag ist; denn es kommt die Nacht, da niemand mehr wirken kann!

Mit herzlichem Gruß
der Ihrige
Carl Hegel

P. S. Haben Sie wohl schon gehört, um mit etwas Erfreulichem zu schließen, daß Ihr Schwager Schelling vor wenigen Tagen noch die Freude erlebt hat, zum Prorector für das mit November beginnende nächste Universitätsjahr3 gewählt zu werden?