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Karl Hegel an Immanuel Hegel, Interlaken, 12. August 1880

Lieber Manuel!

Deinen Brief aus Ems 5. August1 habe ich über Erlangen gestern hier erhalten. Du bist also glücklich mit Clara angelangt und fühlst Dich behaglich in der schon bekannten Wohnung und Umgebung: selbst die Morgenrosen von Windhorst – der Papst, sein Heiliger Vater, schenkt goldene – haben nicht gefehlt.2 Auch schönes Wetter, Euch wie mich begünstigend, ist eingetreten. Ich befinde mich mit Mariechen seit 3. August abends in dem lieblichen Interlaken, auf welches hohe Alpen ringsum und, wo ihr Kranz nach dem Lauterbrunner Thal zu eine Öffnung läßt, die silbernglänzende Jungfrau herabschauen; wir sind gut aufgehoben in der Pension des Deutschen Hofes, haben zwei stille Zimmer nach dem Garten mit Aussicht auf die Alpen und reichliche Kost, alles zu 7 fr. Schweizer Franken a Person für den Tag. Der Ort hat einestheils seinen ländlichen Charakter noch nicht verloren; vereinigt aber damit eine große Anzahl von Hotels für den enormen Fremdenverkehr aller Nationen, welche täglich ab- und zuströmen; ist man einmal, wie wir, im engeren Kreis von ehrlichen Deutschen gut geborgen, so fällt einem das in fremden Idiomen redende Volk, mit dem man im Kurgarten abends bei der Musik zusammentrifft, auch nicht besonders beschwerlich. Wir machen unsere Spaziergänge nachmittags in der nächsten Umgebung, wo man die schönsten Aussichten auf den Thuner oder den Brienzer See oder beide miteinander und auf die Alpen des Oberlands gewinnt. Vorgestern am Dinstag unternahmen wir bei hellem Morgen, der die Jungfrau wieder ganz klar enthüllte, einen größeren Ausflug nach Mürren, welches für den schönsten Aussichtspunkt in der Gegend gilt, oder als solcher mit der Wengener Alp und der Schynigen Platte wetteifert, welche ebenfalls das großartige Alpenpanorama in anderer Verschiebung vor Augen führen. Ein Einspänner brachte uns nach Lauterbrunn, wo wir zwei Rosse bestiegen, und nach zweistündigem Ritt auf die sehr steile Höhe hinauf kamen nach Mürren, wo wieder 2 Hotels sich um den Vorrang streiten. Man hat hier die ganze Pracht der großartigen Häupter, Könige und Königinnen der Eis- und Schneeregion, sich gegenüber: Wetterhörner, Mönch, Eiger, Jungfrau und noch viele andre Hörner, welche mit ihren Gipfeln über schwankende Wolken, wie Bilder der Ewigkeit über den wechselnden Gestaltungen der Zeiten, emporragen. Bei dem Abstieg mußten wir, wenigstens theilweise, zu Fuß gehen, da das Reiten abwärts für die Pferde zu beschwerlich wird. Auch eine Dampfschiffahrt auf dem Thuner See nach Spietz, wo der Legations Rath Wilken aus Berlin – so wurde er mir genannt – das romantische Schlößchen nebst Park besitzt, haben wir am vergangenen Sonntag Nachmittag ausgeführt. Morgen gedenke ich über den Brienzer See nach Gießbach zu fahren, und Mariechen den Wasserfall bei Tagesbeleuchtung wie Abends im bengalischen Licht sehen zu lassen. Von dort will ich, den Paß von Brünig wegen der langen Postfahrt vermeidend, wieder über Bern zurück und nach Luzern auf den Vierwaldstättersee und, wenn es das Wetter zuläßt auf den Rigi, wo ich vor einigen Jahren mit meiner lieben Susi war, die ich, ach so gern – noch bei mir hätte!

Meine frühe Abreise von Erlangen am 30. Juli, nachdem ich tags vorher meine Vorlesungen geschlossen, war bedingt durch meine Berufung als Ministerial-Commissär zur Abhaltung der Abiturientenprüfungen am Realgymnasium3 zu Augsburg; es war mir angenehm damit schon auf halbem Wege bis zum Bodensee zu sein. Mariechen holte mich dort ab, wie einst meine liebe Susi. Ein anderes mal trafen wir mit Euch, Dir und Friederike, dort in den drei Mohren zusammen: wie vergnügt war die liebe Friederike! Wir sahen aus den Fenstern auf die Maximiliansstraße herunter. O, diese lieben Erinnerungen! – .

Wir kamen bei ziemlich hellem Wetter über den Bodensee und blieben über Nacht in Zürich. – Ende der nächsten Woche gedenke ich wieder in Erlangen zu sein.

Von Mundel erhielt ich so eben einen vergnügten Brief aus München. Er hat sein Examen glücklich bestanden und ist jetzt auf 14 Tage zum Besuch bei Kleins. Die Abiturienten gaben ein Fest im Prater, bei welchem Sophiechen Vortänzerin war. Letztere kann sich unterdeß auf dem neuen Piano aus Leipzig ergötzen, welches ich kürzlich für sie angeschafft habe; Lommels werden mit den 2 älteren Knaben auf 14 Tage nach Tegernsee reisen, wo sie mit Freunden aus Wien zusammentreffen.

Mit herzlichen Grüßen und Wünschen

Dein Bruder Karl.