Wenn ich Dich erst jetzt im neuen Jahr mit meinen herzlichen Wünschen für Dich und Dein Haus begrüße, so kann ich doch versichern, daß ich beim Abschluß des alten und Eintritt in das neue Jahr mit allen Lieben in der Ferne auch Deiner und Deiner Kinder in herzlicher Liebe gedacht habe. In höherem Lebensabend und beim Beginn eines neuen Jahres in jetziger bewegter Zeit kann man immer wichtiger Veränderungen gewärtig sein, und so mußten auch wir mit manchen Fragen an die Zukunft beschäftigt werden. Wir können sie nicht beantworten; sie fordern uns aber auf uns zu rüsten und fester zu machen, um auf Alles, was da kommen mag, vorbereitet zu sein. Es ist doch auch ein Vorzug des Alters, daß man an dem Wechsel der Menschen und Zustände gewöhnt ist, und um so mehr dazu geführt wird, sich an das zu halten, was da feststeht und bleibet, und das ist Gottes allmächtiges Regiment, unter welches wir uns zu beugen und dem wir völlig zu vertrauen haben. So wird der Herr auch im neuen Jahr führen, wie es Ihm gefällt und uns zum Besten dient.
Wir waren sehr dankbar, daß wir das schöne Weihnachtsfest in glüklicher Vereinigung der Kinder und in erwünschtem Wohlbefinden feiern konnten. Mein Willy war dazu auch von Paderborn gekommen; auch fand sich mein Neffe Max von Flottwell, Avantageur1 bei dem Dragoner-Regiment in Frankfurt a/O, der jüngste Sohn meines verstorbenen Schwagers Herrmann, zum Fest bei uns ein. Unter den Gaben, die zur Bescheerung von auswärts kamen, empfingen wir auch Deinen schönen braunen und weißen Lebkuchen mit herzlichem Dank, und Clara hat diesen auch bereits gegen Deine Marie brieflich ausgesprochen.
Die Zeit, in der wir mit den Waldenburger Kindern hier vereinigt sind, geht rasch vorüber. Rudel ist im Landtag sehr beschäftigt; denn den arbeitenden Mitgliedern ist es eine schwere Arbeit, das vorliegende kolossale Material zu bewältigen. Es ist die Reformlust und die Gesetzmacherei eine Krankheit der Zeit, und alle Menschen sind davon übersättigt; die unaufhörliche unruhige Veränderung in allen öffentlichen Verhältnissen und Einrichtungen erzeugt auch ein allgemeines Mißbehagen, und man kann sich nicht wundern, wenn sich dies auch in einer starken Zunahme der Auswanderung2 zu erkennen giebt. Der mächtige Bismark ist jetzt wieder eingekehrt und da kann man sich auf drastische Aktionen gefaßt machen.
Unser Willy ist kürzlich auf seinen Antrag zur allgemeinen Staatsverwaltung übernommen und in Folge dessen zum Regierungs-Assessor ernannt worden. Nachdem er nun über zwei Jahre in Paderborn gearbeitet hat, wird er jetzt seine Versetzung zu einer Regierung beantragen; ich habe ihm dazu Breslau vorgeschlagen, weil dies eine große Stadt mit einem ansehnlichen Regierungs-Kollegium und einem vortrefflichen Ober-Präsidenten Herrn von Seydewitz ist, mit dem ich befreundet bin. Er wird dann auch in der Nähe von Waldenburg sein, obwohl nicht anzunehmen ist, daß mein Schwiegersohn dort noch lange Landrath bleiben wird. Er hat sich besonders durch seine Arbeit für Oberschlesien einen guten Ruf verschafft und kann vielleicht bald befördert werden. Marie mit den Kindern, welche allerliebst sind, wird wohl bis zum 15ten Februar hier bleiben, und dann nach Waldenburg zurükkehren. In den nächsten Tagen erwarten wir Frau Charlotte Broicher, geborene Snethlage hier zum Besuch; sie will hier mit ihrer Jugendfreundin Marie Wiedersehen feiern und wird bei uns wohnen. Wir hatten sie im vorigen Sommer3 am Rhein auf der schönen Besitzung ihres Schwiegervaters, Präsident Broicher in Sinzig besucht.
Die Nachrichten, welche Du uns über Deine Kinder mittheilst, habe uns sehr erfreut, besonders das gute Zeugniß, welches Dein Georg sich in seinem Bataillon erworben hat; er ist da doch, Gott sei Dank, in das richtige Fahrwasser gelangt, wo er frischer segeln kann, als hinter den Büchern. Möge er ferner vor Versuchungen bewahrt bleiben! Es wird dazu gewiß auch das Vertrauen, welches Du ihm wieder zuwendest, beitragen. Deinem Mundel wirst Du auch das Maaß der Freiheit, dessen ein junger Mann als Student bedarf, um sich in seiner Lage behaglich zu finden, nicht versagen.
Von meinem Schwager Adalbert in Metz erhielten wir vor wenigen Tagen die betrübliche Nachricht, daß sein älterer Sohn Bert, der in Schulpforta sich in Prima befindet, gemüthskrank geworden ist; er war immer ein Grübler, zur Selbstquälerei geneigt und der krankhafte Zustand ist in den Weihnachtsferien bei einem Besuch seiner Großeltern von Oppen in Dresden zum Ausbruch gekommen, so daß er in eine Heilanstalt gebracht werden mußte. Wenn das Uebel in der natürlichen Entwicklung seines Alters begründet ist, so kann man eine baldige Wiederherstellung hoffen.
Clara und Klärchen senden Euch viele Grüße.