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Karl Hegel an Anna Klein, geb. Hegel, Erlangen, 28. Januar 1881

Liebe Anna!

Deinen lieben Brief vom 20. habe ich mit Vergnügen erhalten1: er war keineswegs zu lang, denn Du weißt recht hübsch zu erzählen, aber wegen des starken Papiers doch ein doppelter. Dafür sollst Du (versteht sich auch Dein Mann mit Dir) und soll Sophiechen jetzt recht viel von uns und Erlangen hören. Luise schreibt Dir heute ganz ausführlich und von Mimi Pfaff2 ist ein dicker Brief an Sophie abgegangen. Was bleibt mir da noch übrig mitzutheilen? ich werde mich also kurz fassen, um nicht dasselbe zu wiederholen, und mich auf das beschränken, was ich selbst erlebt habe.

Das bedeutendste war wohl das Beethoven-Concert von Bülow mit seiner Meininger Kapelle im Redoutensaal am vergangenen Sonntag Nachmittag. Die Ausführung war vollendet, Dirigent und Orchester wie ein Körper und eine Seele: die Sinfonia eroica am Schluß war ein Prachtstück, der Beifall groß, dazu Lorberkränze und der große Saal unten und oben gedrängt voll.

An demselben Abend war ich bei Vollhard eingeladen mit Lüders, Sattlers, Lommels, wo ich mich besonders mit Sattler gut unterhalten habe – er ist ein vielfältig gebildeter Mann; die Weine waren vortrefflich. Frau Vollhard ist große Musikfreundin, ist öfter zu den Bülow-Concerten Sonntags nach Meinigen gefahren, und war auch in Bamberg und Nürnberg bei den dortigen Concerten am Tage vor und nach der hiesigen Aufführung.

Steinmeyer ist mir mit seiner Einladung zu einem Abend in seinem Hause, wobei auch Marie war, zuvorgekommen; nur Siefferts und den Dr. Brock nebst Vollmöller trafen wir dort. Niemand hat die Hausfrau gern außer, wie ich hoffe, ihr eigner Mann.

Am vergangenen Dienstag begleitete ich Marie zur Harmonie, wo zwei theatralische Scherze unter Dr. Kramers Leitung zum besten gegeben wurden. Ich fand den einen, obwohl er von Dr. Kramer selbst, den Fräuleins Eike und Fritsche nebst Herrn Graser3 recht gut gespielt wurde, wenig passend, da die jungen Damen sich darin als ganz übermäßig heiratslustig darstellten. Haben sie dabei so gar nicht an ihre eigene Realität gedacht?

Den christlichen Vortrag von Prof. Rabus über Unsterblichkeit am Mittwoch habe ich nicht selbst gehört; er hat den Damen sehr gut gefallen.

Es gab fast jeden Tag ein anderes Vergnügen und dazu ständig alle Tage das auf dem Eise. Georg kann davon am meisten erzählen, denn er fehlte wohl selten irgendwo, und er kann auch viel vertragen, Nächte durchtanzen und dann am Morgen wieder bei 10–17 Grad Kälte auf dem Exercierplatz! Nur einige Heiserkeit hat er vom Schreien davongetragen. Auch manche Mädchen sind überall dabei und nutzen sich ab, indem sie den jungen Herren gefallen und zu ihrem Vergnügen dienen! Dazu ist mir mein Sophiechen zu gut! –

Es war mir vor allem lieb zu hören, daß Felix sich in Leipzig befriedigt fühlt, wie es ihm ja auch mit seinem Befinden dort entschieden besser als in München geht. Du schriebst nichts von Otto und ich darf darin wohl ein gutes Zeichen erkennen.

Sophiechen wird ihre Schlittschuhe auch wohl öfters auf der Leipziger Bahn gebraucht haben: es ist das doch einmal anders als in dem ewigen Einerlei von gewissen Puppengesichtern hier in Erlangen, wiewohl es auch dort dergleichen geben wird. Und daneben findet sie in Leipzig reelle Beschäftigung und lernt etwas tüchtiges was die Hauptsache ist für das Leben.

Deine Rechnung hat mich über den finanziellen Stand orientiert; ich lege hier 140 Mark bei und bemerke dabei, daß Du mich früher in Leipzig zu erwarten scheinst, als ich kommen werde: vor Mitte April wird das schwerlich sein.4

Daß Brinz, der eingefleischte Österreicher und Widersacher Preußens und verstoßener Schwabe, nicht nach Berlin gehen würde, ließ sich bestimmt voraussehen: unbegreiflich, daß man ihn gerufen hat! Unser neuer College, der Theolog Kolde, war hier zu Weihnachten, um Wohnung zu miethen, ich habe ihn aber nicht gesehen; er heiratet eine Engländerin, mit der er, ich weiß nicht wie viele Jahre verlobt war.

Nun habe ich doch mehr geschrieben, als ich anfangs wollte. Heute ist schreckliches Thauwetter und so mit dem Schlittschuhlaufen auf einmal vorbei; auch Luise hat sich in den letzten Tagen damit versucht und war ganz passionirt darauf.

Mit herzlichen Grüßen

der Eurige.