Erlangen 1. Mai 1881.
Meine liebe Anna!
Es sind nun schon 14 Tage her seit meinem Besuch in Leipzig, der mir die Befriedigung brachte, Euch wiederzusehen und Eure Existenzbedingungen in dem neuen Heimwesen zu Leipzig kennen zu lernen. Dazwischen liegen die Erlebnisse und Eindrücke meines Aufenthalts in dem prächtigen Berlin, wo ich unser junges Sophiechen herumführen und selbst manches Schöne und Bedeutende zum erstenmal anschauen konnte, wie das Goethe’sche Denkmal, das Wernersche Bild im Rathhause, Anderes in der Nationalgallerie und das ergreifende Schlachtengemälde von St. Privat.
Meine historischen Fachgenossen waren zur Stelle in den Sitzungen nicht nur, sondern auch in den Abendgesellschaften bei Wattenbach und Waitz und bei einem letzten auch durch die Betheiligung der Damen | verschönerten Mittagessen in dem prachtvollen und comfortablen neuen Centralhotel. Auf der Rückfahrt über Leipzig habe ich Euch leider nicht gesehen; indessen wäre die Begegnung nur auf wenige Augenblicke beschränkt gewesen, in welchen ich unser verlassenes Sophiechen absetzte und mir selbst ein neues Billet löste. Die Unterhaltung mit meinem mitreisenden Collegen Stumpf und Wattenbach und dem Historienmaler Heyden von Berlin, der sich uns anschloß und nach dem gleichen Ziele reiste, war lebhaft und anregend, so daß mir die Zeit bis zum andern Morgen, da ich hier um 2 ½ Uhr anlangte, sehr schnell verging. Für meine Ankunft in Erlangen aber war es verhängnißvoll, daß auch hier meine Anmeldung noch nicht eingetroffen war, so daß ich lange vor der Gartenthür stehen und anschellen mußte, bis mir endlich der schlaftrunkene Sohn Mundel aufmachte.
Auch mein Zimmer fand ich zwar sehr schön gesäubert, | aber noch nicht völlig geordnet. Doch fuhr ich am Nachmittag weiter nach Nürnberg, um den Berathungen im Verwaltungsausschuß des Germanischen Museums beizuwohnen und die Sammlungen zu besichtigen, und blieb dort den folgenden Tag bis zum Abend. Dann erst konnte ich mich wieder in Erlangen zu meiner gewohnten Arbeit zurechtsetzen. Mit den Vorlesungen beginne ich erst morgen.
Ich habe leider über alle dem den Geburtstag von Felix versäumt, zu welchem ich ihm jetzt noch nachträglich meinen herzlichen Glückwunsch bringen will.
Heute am 1. Mai ist der Walpurgistag, welchen die Verehrer dieser Heiligen auf dem Walperla zu begehen pflegen; zu diesen gehört wie billig unser Sigmund, der sich schon gestern mit einigen Kameraden der Onoldia auf den Weg nach Kunreuth gemacht hat und dabei durch die milde Frühlingswitterung begünstigt war: so eben, da ich dis am Abend schreibe, ist er sehr befriedigt von seiner Ausfahrt zurückgekommen. Ich aber hatte zu Mittag | eine kleine Damengesellschaft bei mir: Frau Graul mit Else Keil, die bei ihr zum Besuch ist, und Fräulein Mathilde Döderlein. Georg fehlte nicht, aber leider das Ehepaar Lommel, welches seit heute in Sorge um den kleinen August ist, der in der Nacht von einem bösen Husten mit Erbrechen befallen wurde und auch das Bedenken des Arztes wegen möglichen Croups erregt, so daß er mit den in solchen Fällen gewöhnlichen Mitteln behandelt wird. Hoffentlich geht es glücklich vorüber!
Sophiechens Brief und Karte sind angekommen: es wird alles, wie sie es wünscht, besorgt werden. Marie war auch die ganze Woche über vollauf mit Stöbern beschäftigt und wir hatten den Tüncher und den Tapezierer im Hause; morgen ist Mädchenwechsel.
Herzlich grüßend
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel, Sophia (Sophiechen)Sophie Hegel-18611940Hegel, Sophia (Sophiechen) (1861–1940), vierte und jüngste Tochter Karl und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878); sie blieb unverheiratet und absolvierte Stationen in München und Göttingen in den Haushalten der Schwestern Luise Lommel, geb. Hegel (1853–1924), und Anna Klein, geb. Hegel (1851–1927), später eine ca. 20 Jahre währende Tätigkeit als Lehrerin/Erzieherin an einem englischen Mädchenpensionat in Malvern, ab 1910 wieder in der Familie ihrer schwerhörigen Schwester Anna Klein lebend und dort vor allem in der Erziehung und Krankenpflege helfend; spätere Arbeit im sozialen Bereich in Göttingen.
Werner, Anton11893275618431915Werner, Anton (1843–1915), in Frankfurt an der Oder geborener Historienmaler.
Wattenbach, WilhelmWilhelm Wattenbach
HiKo
11715138618191897Wattenbach, Wilhelm (1819–1897), in Rantzau/Holstein geborener Historiker, der nach seinem Studium an den Universitäten Bonn, Göttingen und Berlin im Jahre 1843 zur 1819 gegründeten Monumenta Germaniae Historica (MGH) in Berlin kam. 1855 wurde er Archivar an der Universität Breslau, 1862 ordentlicher Professor an der Universität Heidelberg, 1873 an der Berliner Universität.
Waitz, GeorgGeorg Waitz
HiKo
11905914218131886Waitz, Georg (1813–1886), in Flensburg geborener Historiker, der nach einem breiten geisteswissenschaftlichen, juristischen und theologischen Studium an den Universitäten Kiel und Berlin 1836 promoviert wurde. Nach seiner Tätigkeit bei den Monumenta Germaniae Historica wurde er 1842 ordentlicher Professor der Geschichtswissenschaft an der Universität Kiel, wechselte 1848 als Ordinarius an die Universität Göttingen und wurde 1858 Gründungsmitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. Als er 1875 Präsident der Monumenta Germaniae Historica in Berlin wurde, ging er gleichzeitig an die Universität Berlin. Er war in erster Ehe mit Clara Schelling (1818–1857), einer Tochter des Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling (1775–1854), verheiratet, in zweiter Ehe mit Helene Franziska Friederike Hartmann (1831–1915), einer Tochter des Generals Georg Julius Hartmann (1774–1856).
Stumpf(-Brentano), Karl FriedrichKarl Friedrich Stumpf-Brentano11736354518291882Stumpf(-Brentano), Karl Friedrich (1829–1882), in Wien geborener österreichischer Historiker, der an den Universitäten Olmütz und Wien Rechtswissenschaften und Geschichte studierte. 1856/57 wurde er Professor an der Rechtsakademie in Preßburg und war von 1861 bis 1882 ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Innsbruck. Im Jahre 1875 wurde er Gründungsmitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica in Berlin und war Mitglied des Verwaltungsausschusses des Germanischen Nationalmuseumsin Nürnberg.
Heyden-Nerfken, August Jakob Theodor11678690618271897Heyden-Nerfken, August Jakob Theodor (1827–1897), in Breslau geborener Historienmaler, der 1882 Professor an der Berliner Kunstakademie wurde und dem Preußischen Staatsrat angehörte.
Hegel, Sigmund (Mundel, Mundulus, Munerle)Sigmund Hegel11657085718631945Hegel, Sigmund (1863–1945), sechstes Kind (zweiter Sohn) Karl (1813–1901) und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878), Mitglied des Corps Onoldia in Erlangen, Chemiker, Kaiserlicher Geheimer Regierungsrat am Reichspatentamt in Berlin.
Klein, FelixFelix Klein11856286X18491925Klein, Felix (1849–1925), in Düsseldorf geborener Mathematiker, der von 1872 bis 1875 ordentlicher Professor an der Universität Erlangen war, dann bis 1880 an der Technischen Hochschule München, bis 1886 an der Universität Leipzig und bis 1913 an der Universität Göttingen, Ehemann Anna Maria Carolina Kleins, geb. Hegel (1851–1927).
Graul (Grauel), Johanna-18171887Graul (Grauel), Johanna, geb. Schildhauer (1817–1887), Witwe Karl Grauls (1814–1864), des Direktors der Dresdner Mission und der Evangelisch-lutherischen Mission zu Leipzig.
Keil, Louise, geb. Eckstein
113830979618341914 Keil, Louise, geb. Eckstein (1834–1914), Ehefrau des Klassischen Philologen Heinrich Keil (1822–1894).
Lommel, Luise, geb. Hegel
Luise Lommel, geb. Hegel-18531924 Lommel, Luise, geb. Hegel (1853–1924), Ehefrau des Physik- und Mathematik-Professors Eugen Lommel (1837–1899); siehe auch: Hegel, Luise (1853–1924).
Lommel, Eugen Cornelius JosephEugen Lommel10427615018371899Lommel, Eugen Cornelius Joseph (1837–1899), in der Rheinpfalz geborener Physiker und Mathematiker, der von 1854 bis 1858 an der Universität München studierte, Lehrer in der Schweiz und dann Privatdozent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich wurde. 1867/68 war er Professor an der land- und forstwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim und von 1868 bis 1886 Ordinarius an der Universität Erlangen, schließlich an der Universität München. Er war der Ehemann Luise Hegels (1853–1924), der zweitältesten Tochter Karl und Susanna Maria Hegels (1826–1878).
Hegel, Maria (Mariechen, Mimi)Marie HegelTochter Karl Hegels-18551929 Hegel, Maria (Mariechen, Mimi) (1855–1929), dritte Tochter Karl (1813–1901) und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878), die ab 1878 dem verwitweten Vater den Haushalt in Erlangen führte.
Leipzig51.3406321,12.3747329Am Zusammenfluß von Weißer Elster, Pleiße und Parthe gelegene Universitäts- und Messestadt in Sachsen.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Saint-Privat49.0871089,6.1590055Etwa 15 Kilometer nordwestlich von Metz und etwa elf Kilometer nördlich von Gravelotte im Osten Frankreichs gelegene Gemeinde, bei der am 18. August 1870 im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 eine vom Norddeutschen Bund unter der Führung Preußens gegen Frankreich geführte, verlustreiche Schlacht stattfand.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Walberla49.7196624,11.1517328Etwa 20 Kilometer nordöstlich von Erlangen gelegene Bergkuppe in der Fränkischen Schweiz mit einer Höhe von über 500 Metern. Mit der Walburgis-Kapelle ist es Teil der 532 Meter hohen Ehrenbürg.
Kunreuth49.6820273,11.1435802Etwa 16 Kilometer nordöstlich von Erlangen am westlichen Rande der Fränkischen Schweiz gelegenes Dorf mit einem im 14. Jahrhundert entstandenen Wasserschloß der Herren von Egloffstein.
Goethe-Denkmal (Berlin)Am östlichen Rand des Tiergartens nahe dem Brandenburger Tor im Jahre 1880 eingeweihtes, von dem Bildhauer Fritz Schaper (1841-1919) geschaffenes Denkmal Johann Wolfgang Goethes (1749-1832), von allegorischen Figurengruppen einer Muse, eines Eros und eines Genius umgeben.
„Der Berliner Kongreß von 1878“Im Jahre 1881 im Berliner Rathaus enthülltes, von der Reichshauptstadt in Auftrag gegebenes Gemälde des preußischen Hofmalers Anton Werner (1843-1915), das die Schlußsitzung des Berliner Kongresses am 13. Juli 1878 in der Reichskanzlei darstellt, in der der „Berliner Friede“ unterzeichnet wurde. Es zeigt im Zentrum Reichskanzler Otto Bismarck (1815-1898), umgeben von Staatsmännern der beteiligten Staaten.
Nationalgalerie (Berlin)Im Jahre 1861 gegründete Kunstsammlung, die 1876 einen Neubau auf der von der Spree gebildeten Museumsinsel bezog.
„Panorama des Sturmes auf St. Privat“Gemälde von Emil Hünten (1827-1902) aus dem Jahre 1881, das von Februar 1881 bis Dezember 1883 in der neu eröffneten Berliner Panoramarotunde „Nationalpanorama“ gezeigt wurde.
Central-Hotel (Berlin)Im Jahre 1881 eröffnetes Luxushotel in der Mitte Berlins, das das seit dem Jahre 1875 bestehende erste Grand-Hotel Berlins, den „Kaiserhof“, gegenüber der Reichskanzlei gelegen, ergänzte.
Verwaltungsausschuß (Germanisches Nationalmuseum)Kollegium von 25 bis 30 Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst aus allen Teilen des Deutschen Reiches zur Unterstützung der Arbeit des Vorstandes des Germanischen Nationalmuseums.
Germanisches Nationalmuseum NürnbergIm Anschluß an die Frankfurter Germanistenversammlung von 1846 im Jahre 1852 gegründetes Museum zur Präsentation der mit dem Fach „Germanistik“ umrissenen Kulturgeschichte.
Walpurgis TagGedenktag der heiligen Walburga (um 710-779), einer englischen Äbtissin, der der Walpurgisnacht vom 30. April auf den 1. Mai folgt, in der der begonnene Frühling mit verschiedenen Bräuchen gefeiert wurde.
OnoldiaIm Jahre 1798 gegründetes Corps, das als „Anspachische Gesellschaft“ zu den Studentenverbindungen an der Universität Erlangen gehörte.
PseudokruppOft durch einen Virus ausgelöste Atemwegserkrankung, häufig bei Kindern bis zum sechsten Lebensjahr.