Berlin den 29sten Juni 1881
Lieber Karl!
Es bedarf wohl nicht erst der Versicherung, daß es uns jeder Zeit eine Freude sein wird, Deinen Georg, meinen Pathen bei uns aufzunehmen, und es ist dazu auch hinreichender Platz für einen lieben Gast in unserer Wohnung. Ich finde es auch durchaus angemessen, daß Du daran denkst, ihm einmal das Vergnügen eines Besuchs der Hauptstadt Berlin zu verschaffen. Sehr wünschenswerth ist es freilich für ihn und für uns, daß wir alsdann hier einheimisch seien, und ich halte dies eigentlich für nothwendig oder selbstverständlich. Wir können ihn unmöglich zu einer Zeit einladen, da wir nicht zu Hause sind, und dies ist die Zeit meines Reiseurlaubs; sonst wird er im ganzen Jahr uns willkommen sein. Ich beabsichtige aber diesmal circa den 15ten Juli von hier aufzubrechen, werde meinerseits nicht viel länger als 5 Wochen fortbleiben, halte es aber für möglich, daß Clara auf der | Rükreise noch allein etwas bei Klärchen in Göggingen zurükbleibt und es wird dann in Frage kommen, ob das Kind schon Ende August wird heimkehren können oder ob die Kur noch länger fortgesetzt werden muß. Also wird für die Zeit bis zum 1sten September hier nicht auf uns zu rechnen sein. Ich würde auch den Herbst oder das Frühjahr zu einem Besuch von Berlin für vortheilhafter halten. Läßt sich also Georgs Besuch in Berlin mit der Abholung von Sophie in Leipzig nicht kombiniren, so darf deshalb doch der erstere Plan nicht aufgegeben, sondern nur aufgeschoben werden.
Unser erstes Reiseziel wird Göggingen sein, wo wir von Klärchen mit großer Sehnsucht erwartet werden. Leider können wir zu unserer Fahrt dahin füglich nur den Schnellzug benutzen, der Euer Erlangen Mitten in der Nacht passirt, und wir werden daher auf der Hinreise zu unserem herzlichen Bedauern auf die sonst sehr erwünschte Ruhestation in Deinem gastlichen Hause verzichten müssen, hoffen aber uns dafür auf der Rükfahrt schadlos zu halten. |
Wohin wir von Göggingen aus unsere Wege leiten, weiß ich noch nicht; ich habe noch gar keine Zeit gehabt, mich mit dieser schwierigen Frage zu beschäftigen. Inzwischen zieht Clara mannigfache Erkundigungen ein und hat längst eine Neigung für Mittenwald bei Partenkirchen gewonnen. Ich habe nur den Wunsch, mich mitten in den Alpen in Ruhe bei guter Verpflegung zu erquiken und zu stärken, und werde dazu einen geeigneten Punkt in den Bayerischen Alpen suchen.
Von Klärchen haben wir bis jetzt recht fleißig Briefe erhalten, nach denen wir annehmen müssen, daß es ihr so weit wohl geht; jedenfalls hat sie sich in die Kampagne und die dortigen Verhältnisse recht verständig gefunden; in ihren Briefen findet sich keine Klage. Leider sind beiden Fräuleins von Below, an denen sie einen liebevollen Anhalt gefunden hatte, jetzt nach Reichenhall gezogen.
Was Professor Adolf Wagner und seine Kandidatur zum Reichstag anbetrifft, so erscheint mir derselbe für die dortige Verhältnisse wohl empfehlenswerth. | Abgesehen von den kirchlichen Fragen stehen die volkswirtschaftlichen im Vordergrunde und werden auch in Franken am meisten die Gemüther bewegen. Darin steht er aber entschieden auf Seiten Bismarks und wird mit seinen Gaben und Kenntnissen diese Tendenzen zu vertreten sehr geeignet sein. Im Uebrigen dürfte er nicht bestimmt zu der Konservativen Parthei zu rechnen sein, da er sich mit ihr nicht unbedingt engagirt hat, sondern eine unabhängigere freiere Stellung einnimmt, was ihn auch für Eure Verhältnisse empfehlen möchte. Ich wünsche guten Erfolg zur Wahlagitation.
Clara sendet herzliche Grüße; wir hoffen beide, daß eine Begegnung im Gebirge mit Euch sich erreichen läßt, wenn erst beiderseits die Reisepläne zur Reise gediehen sein werden.
Mit herzlichen Wünschen
Dein Bruder
Immanuel
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Hegel, Sophia (Sophiechen)Sophie Hegel-18611940Hegel, Sophia (Sophiechen) (1861–1940), vierte und jüngste Tochter Karl und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878); sie blieb unverheiratet und absolvierte Stationen in München und Göttingen in den Haushalten der Schwestern Luise Lommel, geb. Hegel (1853–1924), und Anna Klein, geb. Hegel (1851–1927), später eine ca. 20 Jahre währende Tätigkeit als Lehrerin/Erzieherin an einem englischen Mädchenpensionat in Malvern, ab 1910 wieder in der Familie ihrer schwerhörigen Schwester Anna Klein lebend und dort vor allem in der Erziehung und Krankenpflege helfend; spätere Arbeit im sozialen Bereich in Göttingen.
Wagner, Adolph11862820818351917Wagner, Adolph (1835–1917), in Erlangen geborener Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler, der nach seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften ab 1858 an der Wiener Handelsakademie wirkte und 1865 ordentlicher Professor an der Universität Dorpat, 1868 an der von Freiburg und 1870 an der Berliner Universität wurde. Von 1882 bis 1885 war er Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses. Er galt als einer der führenden Vertreter des „Staatssozialismus“.
Bismarck, Otto11851136X18151898Bismarck, Otto (1815–1898), in Schönhausen an der Elbe geborener preußischer und deutscher Politiker, der 1850 Mitglied des Erfurter Unionsparlaments war, von 1862 bis 1890 preußischer Ministerpräsident, zugleich von 1867 bis 1871 einziger Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes und von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reiches.
Göggingen48.3400527,10.8700566Etwa vier Kilometer südlich des Stadtzentrums der ehemaligen Reichs- und Bischofsstadt Augsburg gelegen.
Leipzig51.3406321,12.3747329Am Zusammenfluß von Weißer Elster, Pleiße und Parthe gelegene Universitäts- und Messestadt in Sachsen.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Mittenwald47.4429543,11.2655684Etwa 90 Kilometer südlich von München und etwa 18 Kilometer südöstlich von Partenkirchen an der Isar gelegene Marktgemeinde zwischen Wetterstein- und Karwendelgebirge.
Partenkirchen47.4941402,11.1121139Etwa 100 Kilometer südlich von München gelegener Ferienort des Werdenfelser Landes in den deutschen Alpen, der 1935 mit dem Nachbarort Garmisch zu einer Marktgemeinde vereinigt wurde.
AlpenHöchstes, bis über 4800 Meter hohes Gebirge zwischen Mittel- und Südeuropa, das sich über 1200 Kilometer hinweg in einem weiten, zwischen 150 und 250 Kilometer breiten Bogen vom ligurischen Teil des Mittelmeeres im Westen bis in die ungarische Ebene im Osten erstreckt.
Reichenhall47.7222676,12.8760923Kurort in den bayerischen Alpen, etwa 15 Kilometer südwestlich von Salzburg gelegen.In Oberbayern im Berchtesgadener Land gelegener Kurort, circa 23 Kilometer westlich von Salzburg gelegen.
FrankenIm Norden des Königreichs Bayern gelegene, aus den Regierungsbezirken Mittel-, Ober- und Unterfranken bestehende Landschaft mit den Hauptorten Ansbach, Bayreuth und Würzburg sowie der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg und der Bischofsstadt Bamberg.
Reichstag (Deutsches Reich)In der Tradition des Reichstages des Norddeutschen Bundes von 1867 stehendes Parlament des Deutschen Reichs, das von 1871 bis 1918 bestand und zusammen mit dem Bundesrat die Reichsgesetzgebung ausübte. Verfassungsrechtlich ist er verankert in Kapitel V, Artikel 20-32, der Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871.
Konservative ParteiDie Deutschkonservative Partei bildete sich im Jahre 1876 aus verschiedenen konservativen, monarchisch gesinnten, teilweise antsemitischen sozialen Gruppierungen wie Adeligen und Großgrundbesitzern, deren politischen Abgrenzungen zu anderen konservativen Parteien sehr unterschiedlich waren.