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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Mittenwald, 23. Juli 1881

Lieber Karl!

Die Ueberschrift zeigt Dir, daß wir bereits uns in Mitten der Alpen befinden. Heute vor acht Tagen, Sonnabend1, reisten wir mit dem Extrazug Abends um 6 ¾ Uhr ab und kamen über Leipzig, Eger, Regensburg, Ingolstadt am Sonntag Mittag um 11 ½ Uhr in München an, wo wir von Anna Mangelsdorf freundlichst auf dem Bahnhof empfangen wurden. Nach einiger Ruhe und Erfrischung in ihrer Wohnung gingen wir zu Harsdorfer, wo wir den Mittag sehr gemüthlich zubrachten; Tante Thekla war leider schon nach Marienbad abgereist. Nach Tisch kamen Dekan Buchrucker und Professor Giesebrecht; von letzterem erfuhr ich, daß Du im August wieder zu den Prüfungen2 würdest nach München kommen müssen. Am Abend setzten wir die Reise nach Augsburg fort; das durch Wohlfeilheit und Bequemlichkeit sich empfehlende Reise-Engagement nöthigte zu dem Umweg über München. In Augsburg logirten wir in dem ausgezeichneten zu den 3 Mohren. Am Montag Morgen kam unser liebes Klärchen von Göggingen; es war ein bewegtes Wiedersehen und wir hatten große Freude über die günstige Veränderung ihrer ganzen Haltung und ihres Wohlbefindens. Am Nachmittag machten wir Besuche im Diakonischen Hause3, bei Trölschs und Helene von Schönprunn. Am Abend brachten wir unser liebes Kind nach Göggingen zurück. Leider war Herr Hessing nach Reichenhall verreist; die Anstalt machte mir aber einen sehr ungemüthlichen Eindruck; und besonders die jetzt dort befindliche Gesellschaft, in der sich zur Zeit Niemand befindet, der zu einem herzlichen Anschluß und Umgang für Klärchen geeignet wäre, befestigen mich zu dem Entschluß, Klärchen auf unserer Rükreise mit nach Hause zu nehmen, wenn auch Hessing eine längere Fortsetzung der Kur in seiner Anstalt lebhaft empfehlen möchte. Wir können dies aber dem Kinde nicht zumuthen. Am Dienstag4 morgen brachen wir wieder bei fortdauerndem schönen, etwas heißem Wetter von Augsburg auf, fuhren mit der Eisenbahn bis Oberdorf und von hier mit Wagen über Füssen nach Hohenschwangau; am Abend war hier ein starkes Gewitter. Der Eindruck der Burg war mäßig; der Spaziergang am Alpensee sehr schön. Der folgende Tag brachte uns bei sommerlichem Wetter über Reutte nach Lermos; ein Thal im großartigen Styl von der Zugspitze und Sonnenspitze eingeschlossen. Auch hier in den 3 Mohren5 ein recht behagliches Unterkommen. Am Abend brach wieder ein starkes Gewitter los. Am Donnerstag6 ging die Reise nach dem Badewesen an der Zugspitze; ein kleiner, anmuthiger, smaragdgrüner See am Fuß des Gebirgs. Am Nachmittag wanderten wir bei brennender Sonne nach dem Eibsee, wurden aber hier von einem heftigen Gewitter überfallen, welches uns eiligst nach dem Badersee zurücktrieb; von hier brachte uns der Stellwagen nach Partenkirchen. Mit Kommerzienrath Quistorp aus Stettin, den wir am Badersee mit seiner Tochter7 begrüßt hatten, sind wir endlich gestern früh hierher gefahren und wollen nun hier in behaglicher Ruhe länger verweilen. In der Post8, haben wir freundliche Aufnahme gefunden; die Lage am Karwendelgebirge sehr schön, ein breites Gebirgsthal von mächtigen pittoresken Gebirgsmassen eingeschlossen. Jedenfalls will ich hier die ganze nächste Woche, also bis zum 1sten August hier verweilen; alsdann denke ich hinunter nach Innsbruck zu fahren und die vielgerühmte neue Giselabahn benutzen. Dies würde uns bis Salzburg führen. Wenn Du nun Deine Vorlesungen und Prüfungen zeitig genug absolviren kannst und dann eine Erholung im Gebirge suchen wirst, wäre es sehr schön, wenn wir den Wunsch uns irgendwo zu treffen, ausführen könnten. Es möchte am gescheitesten sein, einen Ort zwischen Salzburg und München zu wählen, da wir doch über München zurükkehren müssen. Die Wahl des Ortes würde ich ganz Deiner Bestimmung überlassen. In Betreff der Zeit bemerke ich eben, daß ich am 20sten August nach Berlin zurükkehren will. Ich werde mich in München von Clara trennen, welche unser Clärchen von Göggingen abholen wird, während ich mittelst Retourbillet9 über Nürnberg und Hof heimreise.

Clara grüßt herzlich; sie hat sich heute, etwas erkältet und von den letzten Tagen angestrengt, ganz der Ruhe hingeben müssen. Wir wünschen bald hier von Dir Nachricht über Euer Ergehen und weitere Absichten zu erhalten.

Mit herzlichen Grüßen
Dein Bruder
Immanuel