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Ludwig Weiland an Karl Hegel, Göttingen, 14. Mai 1882

Hochverehrter Herr Geheimer Rath1!

In Beantwortung Ihres werthen Schreibens vom 11. des Monats, erlauben Sie mir Ihnen zuvor, erst zu erklären, daß mir bei dem besagten Satze meiner Recension in der Historischen Zeitschrift nichts ferner lag, als einem directen oder auch nur versteckten Vorwurf gegen Sie erheben zu wollen. Es thut mir herzlich leid, wenn Sie solches herausgelesen haben. Auch Herr von Schenk, der mir ja diese Mittheilung machte, war weit davon entfernt, seiner Entdeckung gerade dieser Urkunde besonderes Verdienst zuzuschreiben oder sich über Nichtnennung seines Namens in Ihrem Aufsatze zu beklagen: Er sagte mir nur beiläufig, als wir über diesen Aufsatz sprachen, daß er Sie auf die Urkunde aufmerksam gemacht habe; und da ich doch einmal diese berührte, so glaubte ich Ihnen in keiner Weise zu nahe zu treten, wenn ich bei dieser Gelegenheit den Namen des ersten Entdeckers nannte. Sollte dadurch vielleicht in den Augen Anderer Ihr Verdienst um diese Entdeckung geschmälert erscheinen, so würde ich das zwar beklagen, gebe mich aber der Hoffnung hin, daß ein Mann von Ihrem wissenschaftlichen Ruhm, dem wir so viel in unserer Wissenschaft, auch den Entdeckungen neuen Materials verdanken, das wird verschmerzen können. Hätte ich um den Hergang gewußt, wie Sie ihn schildern, so würde ich natürlich meine Äußerung unterlassen haben.

Die Kunde von der Secretirung eines theiles der Mainzer Sachen in München geht, wie Sie richtig vermuthen, auf Privatmittheilung des Herrn von Schenk zurück. Wenn ich von Fachgenossen sprach, welche diese Kunde staunend vernommen, so kann ich allerdings einige Namen nennen, z. B. von Geh. Rath von Sybel, dem Herrn von Schenk, und Professor Varrentrapp in Marburg, dem ich nach Schenk Mittheilung der angeblichen Beobachtungen des letzteren machte. Mir war ja durchaus nicht unbekannt, daß ein Theil der Mainzer Sachen in München beruhe und von Böhmer, Stumpf und Anderen benutzt worden war. Die Vermuthung, daß man dieselben secretirt, erhielt doch einigen Schein der Begründung, wenn man überlegte, daß diesen Forschern so wichtige und interessante Stücke noch aus dem 12. Jahrhundert, wie das Privileg Adalberts I. und die Urkunde Erzbischof Heinrichs unbekannt geblieben waren. Das mußte doch im höchsten Grade verwunderlich erscheinen, zumal da Stumpf speciell auf erzbischöfliche Urkunden des 12. Jahrhunderts gefahndet hatte. Ich verfolgte mit meiner Bemerkung lediglich den Zweck, die Interessenten darauf aufmerksam zu machen, daß in München noch ungehobene Schätze für die Mainzer Geschichte lägen, welche selbst Böhmer unbekannt geblieben seien. Ich sehe jetzt ein, daß der Gebrauch des Ausdruckes „secretiren“ voreilig war, da er einen Vorwurf enthält, den ich aus eigener Beobachtung und Erfahrung nicht zu begründen im Stande bin, und besser unterblieben wäre. Ich werde gerne bereit sein, der Archivdirection, deren Literalität ich ja andererseits rühmend hervorhebe, auf Verlangen zu erklären, daß meine Aeußerung auf mangelhafter Information beruhte.

Es würde mir unendlich leid sein, wenn ich durch meine Aeßerung Veranlassung gegeben zu einer Spannung zwischen Ihnen und Herrn von Schenk, der an der ganzen Sache unschuldig, und dessen durch und durch anständige Gesinnung und wissenschaftlichen Eifer ich hochschätze. Ich hoffe aber, daß meine Darlegung etwaige Wolken bei Ihnen zerstreuen werde.

Ich verbleibe, hochzuverehrender Herr Geheimer Rath,
in vorzüglicher Hochachtung
ergebenst
Ludwig Weiland.