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Karl Reinhold Koestlin an Karl Hegel, Tübingen, 1. Mai 1884

Hochverehrter Herr College!

Indem ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank sage für die freundliche Uebermittlung eines Abschnitts eines Briefes Ihres Herrn Vaters an Schelling (von November 18831), erlaube ich mir Ihnen die endlich in den Buchhandel kommende Hölderlinausgabe zu überreichen.

Zugleich möchte ich Ihnen – unter Bezugnahme auf Ihre damaligen Aeußerungen über die noch nicht edirten Briefe – mittheilen, daß ich durch die Güte der Frau Obersteuerrath Lempp in Stuttgart in den Besitz der Abschrift eines Briefes Ihres Herrn Vaters vom 8. Juni 1783 an einen Freund Georg gekommen bin. Sollten Sie diesen Brief nicht kennen, bin ich bereit, eine Copie Ihnen zu überschicken. Vielleicht könnten in den Württembergischen Jahrbüchern oder in der von Zeit zu Zeit erscheinenden Wissenschaftlichen Beilage des Württembergischen Staatsanzeigers Briefe von Hegel publicirt werden.

Sie werden mich vielleicht kleinlicher Detailjüngerei anklagen, wenn ich mich bei Ihnen noch erkundige, ob in Schelling’s Brief an Hegel vom 11. Juli 1803 (welcher im ersten Band von Schellings Leben und Briefen abgedruckt, jedoch nach Angabe Ihres Herrn Collegen Paul Schelling in Erlangen bei Ihnen aufbewahrt ist) nach den Worten „er hat die äußern Manieren solcher, die in diesem Zustande sind, angenommen“ vielleicht noch weitere genauere Angaben über Hölderlins Zustand2 oder etwa über Ursachen und Veranlassungen desselben enthalten waren; der gedruckte Brief hat nach jenen Worten einen Gedankenstrich, der vielleicht auf eine Auslassung hinweist.3

Diese Anfrage möchte ich aber an Sie nur unter der Voraussetzung gestellt haben, daß ihre Beantwortung Ihnen keinerlei Zeitaufwand bereite, sowie unter Angelobung discretester Zurückhaltung, falls solche pflichtgemäß sein sollte.

In vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
Karl Reinhold Köstlin.