Indem ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank sage für die freundliche Uebermittlung eines Abschnitts eines Briefes Ihres Herrn Vaters an Schelling (von November 18831), erlaube ich mir Ihnen die endlich in den Buchhandel kommende Hölderlinausgabe zu überreichen.
Zugleich möchte ich Ihnen – unter Bezugnahme auf Ihre damaligen Aeußerungen über die noch nicht edirten Briefe – mittheilen, daß ich durch die Güte der Frau Obersteuerrath Lempp in Stuttgart in den Besitz der Abschrift eines Briefes Ihres Herrn Vaters vom 8. Juni 1783 an einen Freund Georg gekommen bin. Sollten Sie diesen Brief nicht kennen, bin ich bereit, eine Copie Ihnen zu überschicken. Vielleicht könnten in den Württembergischen Jahrbüchern oder in der von Zeit zu Zeit erscheinenden Wissenschaftlichen Beilage des Württembergischen Staatsanzeigers Briefe von Hegel publicirt werden.
Sie werden mich vielleicht kleinlicher Detailjüngerei anklagen, wenn ich mich bei Ihnen noch erkundige, ob in Schelling’s Brief an Hegel vom 11. Juli 1803 (welcher im ersten Band von Schellings Leben und Briefen abgedruckt, jedoch nach Angabe Ihres Herrn Collegen Paul Schelling in Erlangen bei Ihnen aufbewahrt ist) nach den Worten „er hat die äußern Manieren solcher, die in diesem Zustande sind, angenommen“ vielleicht noch weitere genauere Angaben über Hölderlins Zustand2| oder etwa über Ursachen und Veranlassungen desselben enthalten waren; der gedruckte Brief hat nach jenen Worten einen Gedankenstrich, der vielleicht auf eine Auslassung hinweist.3
Diese Anfrage möchte ich aber an Sie nur unter der Voraussetzung gestellt haben, daß ihre Beantwortung Ihnen keinerlei Zeitaufwand bereite, sowie unter Angelobung discretester Zurückhaltung, falls solche pflichtgemäß sein sollte.
In vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener Karl Reinhold Köstlin.
1Zeitraum der erwähnten Briefübermittlung. 2Der Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843), ein Jugendfreund des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), verfiel im Laufe seines Lebens nach mehreren persönlichen Schicksalsschlägen immer mehr dem Wahnsinn und verbrachte nach einer längeren, damals als fortschrittlich angesehenen Zwangstherapie, die nicht zur Heilung führte, seit 1807 seine zweite Lebenshälfte bis zu seinem Tod 1843 in einem Turmzimmer in Tübingen, dem sogenannten „Hölderlin-Turm“, wo er in der Hausgemeinschaft seiner Pflegefamilie lebte, weiter dichtete und als „Tübinger Attraktion“ auch Besucher wie z. B. den Dichter Eduard Mörike (1804-1875) empfing. 3 Der entsprechende Brief des Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) an den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel vom 11. Juli 1803 aus Cannstadt findet sich im ersten Band der erwähnten Brief-Edition „Schellings Leben. Aus Schellings Leben in Briefen. Erster Band. 1775-1803“, der in Leipzig im Hirzel-Verlag 1869 erschien und von dem Erlanger Theologie-Professor und Kirchenhistoriker Gustav Leopold Plitt (1836-1880), der mit einer Enkelin des Philosophen Schelling verheiratet war, bearbeitet und herausgegeben wurde, auf S. 465-469, die angefragte Briefpassage auf S. 469.
Köstlin, Karl ReinholdKarl Reinhold Köstlin11630166X18191894Köstlin, Karl Reinhold (1819–1894), im schwäbischen Urach geborener evangelischer Theologe und Literaturhistoriker, der von 1837 bis 1841 an der Universität Tübingen studierte und anschließend in den Kirchendienst eintrat. Im Jahre 1849 zum Dr. phil. promoviert, wurde er Privatdozent und 1853 außerordentlicher Professor an der Universität Tübingen. 1858 übernahm er den Lehrstuhl für Ästhetik und Kunstgeschichte in der Philosophischen Fakultät und wurde 1863 Ordinarius, im Jahre 1877 war er Dekan.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Tübingen48.5236164,9.0535531Stadt am Neckar im Königreich Württemberg mit 1477 gegründeter Universität, etwa 40 Kilometer südlich von Stuttgart gelegen.
Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (StBPK), Berlin
NL Hegel 15, Fasz. IV, 3.
SBPK Berlin1000
Hegel, Georg Wilhelm FriedrichGeorg Wilhelm Friedrich Hegel https://www.deutsche-biographie.de/sfz28648.html#ndbcontent11854773917701831 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831), Philosoph, Ehemann Maria Helena Susanna Hegels, geb. Tucher (1791–1855), Vater Karl und Immanuel Hegels , von 1808 bis 1816 Gymnasialrektor und Schulrat in Nürnberg, ordentlicher Universitätsprofessor für Philosophie von 1816 bis 1818 an der Universität Heidelberg und von 1818 bis 1831 an der Universität Berlin.
Schelling, Friedrich Wilhelm JosephFriedrich Wilhelm Joseph Schelling11860705717751854 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1775–1854), im württembergischen Leonberg geborener Philosoph, außerordentlicher Professor an der Universität Jena von 1798 bis 1803, ordentlicher Professor an den Universitäten Würzburg von 1803 bis 1806, München von 1827 bis 1841 und Berlin von 1841 bis 1846 als zweiter Nachfolger Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831). Er war Vater Paul Heinrich Joseph Schellings (1813–1889) und Clara Schellings (1818–1857), verh. Waitz.
Hölderlin, Friedrich11855198117701843Hölderlin, Friedrich (1770–1843), im württembergischen Lauffen am Neckar geborener Dichter, der im Tübinger Stift Freundschaft mit den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854) schloss. Er verfiel im Laufe seines Lebens nach mehreren persönlichen Schicksalsschlägen immer mehr in den Wahnsinn und verbrachte nach einer längeren, damals als fortschrittlich angesehenen Zwangstherapie, die nicht zur Heilung führte, seit 1807 seine zweite Lebenshälfte bis zu seinem Tod 1843 in einem Turmzimmer in Tübingen, dem sogenannten „Hölderlin-Turm“, wo er in der Hausgemeinschaft seiner Pflegefamilie lebte, weiter dichtete und als „Tübinger Attraktion“ auch Besucher wie z. B. den Dichter Eduard Mörike (1804–1875) empfing.
N. N., N. N., verh. Lempp-N. N., N. N., Frau des Obersteuerrats Lempp in Stuttgart.
Stuttgart, auch: Stuttgard48.7784485,9.1800132Am Neckar gelegene Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Württemberg.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Hölderlinausgabe (Köstlin)Von dem evangelischen Theologe, Ästhetiker und Literaturhistoriker Karl Reinhold Köstlin (1819-1894) 1884 in Tübingen herausgegebene Ausgabe der „Dichtungen von Friedrich Hölderlin. Mit biographischer Einleitung“.
ObersteuerrathStaatsbeamter, der im Finanz- und Steuerwesen tätig ist.
CopieKopie, hier im Sinne von Abschrift, originalgetreuer Reproduktion bzw. Duplikation eines Schriftstücks.
Württembergische JahrbücherZwischen 1822 und 1862 erschienene Zeitschrift, die unter dem vollen Titel: „Württembergische Jahrbücher für vaterländische Geschichte, Geographie, Statistik und Topographie“ in Stuttgart bzw. Tübingen erschien.
Württembergischer StaatsanzeigerPolitische Zeitung, die zwischen 1850 und 1934 unter hauptsächlich unter dem Titel „Staatsanzeiger für Württemberg“ – auch mit Veröffentlichung verschiedener Beilagen zu bestimmten Themenbereichen (z. B. Wissenschaft, Wirtschaft etc.) – erschien.
DetailjüngereiSynonym für Pedanterie.
Erster Band von Schellings Leben und BriefenDreibändige Brief-Edition unter dem Titel: „Schellings Leben. Aus Schellings Leben in Briefen“, die in Leipzig im Hirzel-Verlag zwischen 1869 und 1870 erschien und von dem Erlanger Theologie-Professor und Kirchenhistoriker Gustav Leopold Plitt (1836-1880), der mit einer Enkelin des Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) verheiratet war, bearbeitet und herausgegeben wurde. Der erwähnte erste Band wurde 1869 veröffentlicht unter dem vollen Titel: „Schellings Leben. Aus Schellings Leben in Briefen. Erster Band. 1775-1803.“
Mehrere Registerverweise
Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis