Wir waren erfreut, durch Deinen lieben Brief vom 1sten dieses Monats1 wieder einmal von Eurem Ergehen Nachricht zu erhalten, und indem Du uns Deinen Besuch zur Konferenz des Reichskommission zu Ende dieses Monats ankündigst, wirst Du überzeugt sein, daß Du hierbei in unserem Hause ein lieber Gast sein wirst. Wir sehen daher der bestimmten Anzeige Deiner Ankunft hierselbst entgegen, damit Du Alles zu Deiner Aufnahme bereit findest. Deinem Siegmund sende ich meinen herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Doktorexamen2 und wir werden uns herzlich freuen, wenn er zu seiner weiteren Ausbildung einen Aufenthalt in Berlin nehmen sollte. Welche Wahl, ob Berlin oder München, als für ihn am vortheilhaftesten zu treffen sein möchte, kann ich allerdings nicht beurtheilen.
Der Tod des sächsischen Gesandten von Nostiz-Wallwitz ist hier in allen Kreisen, in denen er sich bewegte, sehr beklagt worden; er war ein durchaus ehrenwerter Mann von ernster Gesinnung und gediegener Bildung; er hielt sich mit seiner trefflichen Frau sehr treu zur St. Matthäuskirche. Es war beruhigend und erwünscht, daß die Nachricht, er sei in Folge einer Operation gestorben, berichtigt werden konnte.
Unser Leben ist auch in den verflossenen Monaten mit gewohnter Bewegung in eiligem Fluge ohne wesentliche Veränderungen verlaufen. Ich bin froh und dankbar, wenn ich dabei meinen mannigfachen Pflichten und Aufgaben leidlich zu erfüllen im Stande bin; es ist dies aber bei zunehmendem Alter nur möglich durch eine regelmäßige und oekonomische Verwendung von Zeit und Kräften. Ich glaube aber nicht, daß dies noch lange dauern kann, und sehne mich herzlich nach Ruhe und innerer Sammlung zum letzten Ende. So lange es aber noch geht, muß ich in diesem rastlosen Treiben pflichtmäßig aushalten; eine starke Probe wird die im nächsten Herbst bevorstehende Generalsynode sein; im folgenden Jahre würde ich mein fünfzigjähriges Amtsjubiläum zu feiern haben.
Von den Meinigen kann ich, Gott sei Dank!, im Ganzen nur Gutes berichten. Bitters müssen leider jetzt die ihnen ge- kündigte Wohnung verlassen und werden in dieser Woche in ein Haus derselben Straße, dem jetzigen gegenüber übersiedeln. Die Kinder werden deshalb in den nächsten Tagen, abgesehen von der Nacht, bei uns verweilen. Wir haben an den Enkeln große Freude, da sie sich recht glüklich entwikeln. In nächster Zeit erwarten wir auch den Besuch meiner Schwägerin Pauline aus Danzig mit ihrer jüngsten Tochter Klärchen; sie will sich mit dieser hier einige Tage amüsieren, wobei ihr ältester Sohn Paul, der als Regierungsreferendar jetzt beim hiesigen Landrath Prinz Handjery beschäftigt ist, ihr beistehen wird. Zugleich will sie aber auch ihre zweite Tochter Grethe besuchen, die sich im Herbst mit dem Kreishauptmann von Löbell in Neuhaus bei Stade in Hannover verheiratet hat.
Die letzten Verhandlungen des Deutschen Reichstags wirst Du auch gewiß mit Interesse verfolgt haben, in denen Bismark seine Politik mit staunenswerther Kraft und Größe dargelegt und vertheidigt hat. Es wird ihm aber schwer genug gemacht, seine hohen Ziele für das Vaterland zu erkämpfen und mit welchen Gegnern muß er sich dabei herumschlagen! Nur muß man leider zugestehen, daß der eine große Fehler in seiner glänzenden und ruhmvollen Laufbahn, nemlich der unglückliche Kulturkampf, ihm die größten Schwierigkeiten bereitet und sich wie ein Schwergewicht an seine Füße hängt, das er nicht abschütteln kann. Mit dem Liberalismus und der Demokratie würde er schon fertig werden; und er wird in dieser Richtung auch durch die dankbare Anerkennung und Huldigung, welche ihm weite Kreise des Volks zu seinem Geburtstage am 1sten April3 darbringen werden, eine ermuthigende Stärkung empfangen. Am nächsten Sonntag4 aber feiern wir den Geburtstag5 des alten ehrwürdigen Kaisers mit dem innigen Gebet, daß Gott ihm auch ferner zu seinem gesegneten Regiment die nöthige Kraft verleihen möge!
Mit herzlichen Wünschen und Grüßen von mir und meinen Kindern an Dich und Deine Lieben