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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 9. November 1885

Lieber Karl!

Zur Erfüllung Deines Wunsches habe ich nach den Briefen des Vaters und der Mutter alle Orte durchsucht, wo sich solche noch finden könnten. Die Briefe und sonstigen Schriftstücke, welche die Familie und sonstigen persönlichen Verhältnisse betreffen, habe ich in einem Paket zusammengebunden, in meinem Schrank verwahrt. Darin befanden sich nur noch die Briefe der Mutter an den Vater, welche ich Dir als Paket durch die Post übersenden werde; von den Briefen des Vaters ist nichts mehr vorhanden. Was vor Zeiten im Postamentsschränkchen niedergelegt war, ist längst daraus fortgenommen und zur Verwahrung in meinen Schrank gelangt. Um Alles zu erschöpfen, habe ich mit Willy den großen Kasten auf dem Boden, in welchem die Manuskripte des Vaters zusammengepackt sind, durchsucht, aber darin weder Briefe noch auch das Schul-Normativ von 18081 gefunden. Es tut mir leid, daß ich Deine mühevolle Arbeit nicht besser unterstützen kann, bin Dir aber von ganzem Herzen dankbar, daß Du sie in so gründlicher Weise ausführst und dadurch das Andenken unseres Vaters ehrst.  

Wir haben auch sehr bedauert, Brockdorfs hier nicht gesehen zu haben; wir verfehlten uns gegenseitig mit unseren Besuchen und unsere Einladung kam zu spät, da sie bald wieder abreisten. Karoline hat darauf aus München freundlich an Klara geschrieben, darin aber von der Krankheit des Sohnes2 nichts erwähnt, so daß diese Sorge gehoben zu sein scheint.

Die Generalsynode habe ich glücklich überstanden, wenn ich auch in den Tagen von einem etwas hartnäckigen und sehr unbequemen Durchfall behelligt wurde. Da die Landtagswahlen von Bismark früher als erwartet wurde, anberaumt wurden, so waren wir genöthigt, in 18 Tagen eine große Zahl von mehr oder weniger Gesetzvorlagen und Anträgen durchzuarbeiten, und wenn auch eine völligere Entwicklung derselben in den Verhandlungen zu wünschen gewesen, so hat doch im Ganzen die Gründlichkeit in der Sache nicht gelitten; aber freilich war es sehr anstrengend; tägliche Plenar-, Kommissions- und spät Abends noch Fraktionssitzungen, die oft bis 10 – 11 Uhr dauerten. Das Resultat war im Ganzen recht befriedigend, und es ist dies vornehmlich der trefflichen Leitung des Präsidenten, Grafen von Arnim-Boitzenburg, dem verständigen und wohlgesinnten Entgegenkommen des Präsidenten Hermes, wodurch manche gefährliche Differenzpunkte beseitigt wurden, und dem Umstande zu verdanken, daß die Berliner Liberalen mit ihrem Geschwätz und den unversöhnlichen Gegensätzen ihres Standpunktes nicht zur Theilnahme an der Synode – weder durch Wahl der Provinzialsynode, noch durch königliche Ernennung – gelangt waren. Unter Anderem hatte ich auch einen Antrag wegen der Bibelrevision gestellt, der durch die angemessene und zustimmende Erklärung von Brückner Namens des Evangelischen Ober-Kirchenraths und das Einverständniß der zur Mittelparthei gehörigen Haller Professoren eine erwünschte Erledigung erhielt. Es war durch eine mißliebige und hochmüthig absprechende Erklärung von Luthardt in Leipzig und Kliefoth in Schwerin in der Evangelisch Lutherischen Kirchenzeitung ein weit verbreitetes Mißtrauen gegen die Bibelrevision und große Besorgniß wegen zwangsweiser Einführung der revidirten Bibel entstanden, und mein Antrag sollte dagegen zur Beruhigung wirken. Ich hoffe, daß dieser Zweck auch erreicht wird. Wenn ich einen Abzug des bezüglichen Protokolls erhalte, so werde ich ihn zur Veröffentlichung besorgen und auch Dir ein Exemplar mit der Bitte übersenden, dasselbe Deinem Kollegen D.3 Franke mitzutheilen, da derselbe sich in dieser Frage auf der letzten Pastoralkonferenz in Nürnberg wohlwollend und verständig ausgesprochen und dadurch auf die Beschlüsse der Konferenz günstig eingewirkt hat.

Ein schöner Schluß der Synode war die Begrüßung derselben durch den alten Kaiser in der Kapelle des Domstiftes: auf die Ansprachen von Kögel und Arnim-Boitzenburg – beide vortrefflich – antwortete er in längerer zusammenhängender Rede würdig und mit eigener tiefer Bewegung. Der hohe Herr reichte auch mir die Hand mit persönlicher Begrüßung.

Die Synode wurde von mir benutzt, den Pommern, insbesondere den anwesenden Professoren D. Zöckler und D. Cremer durch einen gelungenen Doktorschmaus meinen Dank für den Dr. theol. auszusprechen.4 In den Generalsynodal-Vorstand bin ich für die nächsten 6 Jahre auch wieder gewählt worden; ob ich die nächste Synode noch erleben werde, ist schwerlich zu hoffen.

Inzwischen ist nun Liserls Harsdorf aus München in das Elisabeth-Krankenhaus als Volontair eingetreten; sie ist recht nett, unbefangen und verständig; aber Diakonisse wird sie nicht werden, das ist auch gewiß nicht der Wunsch der Eltern, sondern sie soll eine nützliche Schule durchmachen. Sonntags besucht sie uns, und die Zeit wird zu Spaziergängen in der Stadt, Museen und anderes mehr benutzt.

Clara und die Kinder tragen mir herzliche Grüße auf.

Mit herzlichen Wünschen für Dich und Dein Haus Dein Bruder Immanuel