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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 13. Dezember 1885

Lieber Karl!

Zur Besichtigung der Viktorien1 bin ich mit Clara bei 2 und 3 gewesen. Die Leistungen beider scheinen mir gleich zu stehen. Die Viktoria auf der Kugel4 war bei beiden nicht vorräthig; nach der Photographie dürfte sie in der Anmuth ihrer Erscheinung vor der Rauchschen den Vorzug verdienen. Der Fuß, auf dem sie steht, ist nicht so zerbrechlich als er aussieht; denn sie wird zusammengehalten durch einen eisernen Stab, der von unten bis zum Scheitel durchgeht. Aber dessen ungeachtet aber ist sie wegen des freien Beines und der hochgehobenen Arme leichter zu beschädigen, als die sitzende Rauchsche Viktoria.5 Bei 6 kostet sie, wie bei 7 21 Mark.

Der Optikus 8 ist mir in seinen Leistungen unbekannt. Seine kleinen Operngläser zu 12 Mark scheinen mir untauglich zu sein; die besseren kosten 15 Mark bei einfacher Ausstattung. Ich würde empfehlen, einen solchen Gegenstand nur in einer als solide bekannten Handlung zu nehmen. Als Georg uns vor 2 Jahren seinen Besuch ankündigte, beschäftigte mich die Absicht, ihn als meinem Pathen ein Geschenk zu machen, und zwar einen sogenannten Stecher, wie unsere Offiziere solchen im Dienst gebrauchen. Als ich mich diesenfall bei einem Offizier unseres Großen Generalstabes erkundigte, empfahl mir derselbe die Fabrik von Poeller, optisches Central-Institut in AmbergBayern, von welchem auch unser Generalstab seinen Bedarf bezöge. Ich ließ mir daher von dort ein Glas kommen, welches 18 Mark kostete – mit 9 und Porto 19 Mark 15 Pfennig – mit lederner 10 als Riemen zum Umhängen. Als ich nun aber wahrnahm, daß Georg sich bereits im Besitz eines guten Glases befand, habe ich das Glas von Poeller meinem Willy zum Geburtstag geschenkt und er ist damit beim Gebrauch auf seinen Reisen ganz zufrieden gewesen. Ich möchte Dir demnach zurufen, „Warum willst Du in das Weite schweifen, siehe! Das Gute liegt so nah!“ Wenn Du nicht in Nürnberg eine Niederlage von Poeller finden solltest, wirst Du ein gutes und billiges Glas rasch und bequem von ihm direkt beziehen können.

Deinem Sigmund bitte ich meinen freundlichen Dank für die uns übersandte Doktor-Dissertation über die Indolderivaten11 zu sagen. Beim Durchsehen war ich erstaunt über die fürchterlichen Stoffnamen der modernen Chemie; im Uebrigen habe ich die Klarsicht und gute Bildung des Styles anerkannt und bin in der Sache, ohne sie zu verstehen, überzeugt, daß die Arbeit für die Leute vom Fach von werthvollem Interesse ist.

Mit herzlichen Grüßen und Wünschen zu einem frohen Heiligen Weihnachtsfest

Dein Bruder
Immanuel