Thusis den 29sten August 1886
30sten August 1886
Lieber Karl!
Wir haben nun unsere Rückreise angetreten, nachdem wir in den letzten zwei Wochen viel Regen und Nebel in Klosters ausgestanden – an manchen Tagen dauerte dies Wetter unaufhörlich fort –. Da am Freitag eine Besserung eintrat, und Barometer wie auch Mondwechsel dazu ermuthigte, fuhren wir in einem Einspänner über Davos und Wiesen hierher; es war bei schönem Wetter eine sehr interessante belohnende Fahrt, zunächst Davos ein höchst eleganter Kurort mit vielem inneren Elend und einem zahlreich besetzten Kirchhof; dann Tiefenkasten an der Albula und der Schynpaß oder Pass mala mit dem in tiefster Schlucht zwischen mächtigen Gebirgskolossen herabstürzenden Strom, bis endlich das freundliche weiche Thal vor Thusis sich eröffnet. Hier sind wir nun einen mehrtägigen Aufenthalt zu machen veranlaßt, weil uns mein Schwiegersohn Bitter, der seit 14 Tagen zur Kur oben in St. Moritz verweilt, benachrichtigt hat, daß meine Tochter Marie, mit der er noch eine weitere Reise in Oberitalien, sogar bis Florenz unternehmen wollte, am Montag von Berlin abreisen und am Dienstag Abend in Chur eintreffen werde, um hier zu übernachten und am folgenden Tage mit der Post die Fahrt nach St. Moritz fortzusetzen. Unter diesen | Umständen, und da unsere Wege sich also kreuzen, wollen wir Marie am nächsten Dienstag Abend in Chur in Empfang nehmen und dann am Mittwoch den 1sten September von hier unsere Reise fortsetzen; am ersten Tage über Friedrichshafen bis Ulm und am zweiten über Crailsheim bis Nürnberg, wo wir Donnerstags Abends um 6,30 Uhr ankommen und im Württemberger Hof am Bahnhof Quartier nehmen und übernachten wollen. Wir können dann hier am Abend und den folgenden Vormittag die Kirchen besuchen und so weit die Zeit reicht, mehrere Verwandte, wie Grundherrs und Helene Meyer begrüßen und beabsichtigen Mittags, Freitag, mit dem Zuge um 1,45 Uhr nach Erlangen zu fahren, wo wir um 2,37 Uhr Nachmittags ankommen würden, und unser liebes Kind Klärchen, Dich und Deine Kinder wohlgemuth wiederzusehen hoffen. Wir werden Dir sehr dankbar sein, wenn Du uns durch ein frugales Mittagessen in Deinem Hause stärken möchtest. Ich will dann in der folgenden Nacht mit Frau und Tochter um 12,17 Uhr zum letzten Rest der Rückreise wieder aufbrechen, da ich am Sonnabend Mittag um 12,30 Uhr, so Gott will, heimzukehren wünsche. Ich würde Dir und Deinen Kindern gerne die nächtliche Störung ersparen; die Lage der Eisenbahnzüge läßt es aber nicht wohl vermeiden, und nachdem ich jetzt volle fünf Wochen von Haus und Amt zur Erholung | entfernt gewesen bin, ergreift mich ein dringendes Verlangen nach Heimkehr zur gewohnten Thätigkeit, in der mich in nächster Zeit auch manche wichtige Fragen beschäftigen werden.
Wenn Klärchen inzwischen noch keinen Besuch in Nürnberg gemacht haben sollte, so stelle ich ihr frei, am nächsten Freitag den 3ten September Vormittags mit dem Zuge um 9,37 Uhr ohne Gepäk von Erlangen nach Nürnberg zu fahren, wo sie um 10,25 Uhr ankommen würde, um uns auf dem Bahnhof zu begrüßen und auf den weiteren Wegen in der Stadt zu begleiten. Es wird uns lieb sein, wenn Du eine Postkarte nach dem Württemberger Hof, die wir hier am Donnerstag Abend erhalten würden – bei unserer Ankunft – benachrichtigen möchtest, ob wir Klärchen am folgenden Vormittag in Nürnberg erwarten können.
Wir haben jetzt fortgesetzt schönes, aber auch frisches Wetter. Gestern Nachmittag wanderten wir durch die romantische via mala, wo die Albula in schauerlicher Tiefe zwischen den hohen eng geschlossenen Felsen hindurch strömt. Wenn nicht die Zusammenkunft mit Marie in Chur am Dienstag Abend verabredet wäre, würde ich gerne schon heute weiterfahren; so muß ich mich schon gedulden, kann aber nun auf der Rükreise keinen längeren Aufenthalt weiter machen.
Mit dem herzlichen Wunsche, Dich, die Deinigen und unser Klärchen wohl anzutreffen, in dankbarer Liebe
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Thusis46.6972368,9.4390836Etwa 60 Kilometer südwestlich von Klosters gelegene Gemeinde am nördlichen Zugang zur Via-Mala-Schlucht.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Bitter, Rudolf11619799418461914Bitter, Rudolf, der Jüngere (1846–1914), in Merseburg geborener preußischer Verwaltungsjurist und Politiker, Sohn (Hans) Rudolf Bitters, des Älteren (1811–1880), und Anna Bitters, geb. Nauen, 1819–1885) sowie Ehemann Marie Bitters, geb. Hegel (1848–1925). Nach seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Berlin, Bonn und Lausanne ging er im Jahre 1873 in den preußischen Verwaltungsdienst in Posen, wurde 1875 Landrat im schlesischen Kreis Waldenburg, wechselte von 1882 bis 1888 und in den Jahren 1898/99 (als Ministerialdirektor) ins preußische Innenministerium, wurde 1888 Regierungspräsident in Oppeln, 1899 Oberpräsident der Provinz Posen. Von 1879 bis 1888 war er als Mitglied der Freikonservativen Fraktion Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses.
Grundherr, Adolf108003427718481908Grundherr, Adolf (1848–1908), in München geborener vielseitiger bildender Künstler, vor allem Maler und Graphiker. Sein Vater war der königlich bayerische Offizier Sigmund Grundherr von Altenthann und Weiherhaus (1797–1873). Nach dem Abitur am Münchener Maximilians-Gymnasium im Jahre 1868 studierte er an der Universität München zunächst Rechtswissenschaften, wechselte aber 1871 an die Nürnberger Kunstgewerbeschule und ein Jahr später an die Münchener Kunstakademie, um sein ganzes Leben der Kunst zu widmen.
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Klosters46.8829097,9.8750678Etwa zwölf Kilometer nordöstlich von Davos im schweizerischen Kanton Graubünden gelegene Gemeinde.
Davos46.796198,9.8236892Luftkurort in den Graubündener Alpen in der Schweiz, etwa 60 Kilometer westlich von Chur.
Wiesen46.703691,9.7136998Etwa 20 Kilometer südwestlich von Davos gelegene Gemeinde im Schweizer Kanton Graubünden.
Tiefencastel46.6615603,9.5764895Etwa 30 Kilometer südwestlich von Davos in einem Talkessel gelegener Ort an der Albula.
AlbulaUnterhalb des Albulapasses in den Rätischen Alpen entspringender und bei Fürstenaubruck in den Hinterrhein mündener etwa 40 Kilometer langer Fluß im Schweizer Kanton Graubünden.
Schynschlucht46.6792664,9.529829Etwa neun Kilometer lange Schlucht im Schweizer Kanton Graubünden südlich von Lenzerheide.
Via-Mala46.59698295,9.403620417106454Etwa acht Kilometer langer Weg entlang des Hinterrheins zwischen Thusis und Zillis-Reischen mit tief eingeschnittener Schlucht im Südosten der Schweiz.
St. Moritz46.4978958,9.8392428Etwa 65 Kilometer südlich von Davos gelegene Gemeinde im Schweizer Kanton Graubünden, deren Aufstieg zu einem der bekanntesten Kurorte in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann.
Florenz43.7698712,11.2555757Hauptstadt im Zentrum des Großherzogtums Toskana im Norden der Apenninen-Halbinsel circa 300 Kilometer nördlich von Rom gelegen.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Chur46.854747,9.5264904Etwa 120 Kilometer südöstlich von Zürich gelegener Hauptort des Schweizer Kantons Graubünden am Alpenrhein.
Friedrichshafen47.6500279,9.4800858Etwa 90 Kilometer nordöstlich von Zürich und etwa 100 Kilometer südwestlich von Ulm gelegene Stadt am Nordufer des Bodensees.
Ulm48.3974003,9.9934336Etwa 100 Kilometer nordöstlich von Friedrichshafen am Bodensee gelegene ehemalige Reichsstadt an der Donau, die vier Jahre nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806 vom Königreich Bayern an das Königreich Württemberg kam.
Crailsheim49.1365626,10.0720195Etwa 90 Kilometer südwestlich von Nürnberg gelegene Stadt im Königreich Württemberg, nachdem sie im Grenzvertrag von 1810 vom Königreich Bayern abgetreten worden war.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
EinspännerEine von einem Pferd gezogene Kutsche.
Postkarte. frz. Carte postaleEnde der 1860er und zu Beginn der 1870er Jahre zunächst in Österreich-Ungarn und kurz darauf von Seiten des Norddeutschen Bund erstmals postamtlich eingeführte „Correspondenzkarte“ mit vorausgehenden Vorläufern bis in die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückreichend als offenes Sendschreiben in Kartenform, das von den Porto-Gebühren zumeist günstiger war als der verschlossene Brief; die Umbenennung in „Postkarte“ erfolgte 1872 innerhalb des deutschen Kaiserreichs; zu Beginn des Jahres 1873 wurden im Deutschen Reich Postkarten mit eingedrucktem Postwertzeichen verkauft, ebenso auch im Königreich Bayern; in den weiteren 1870er Jahren erfolgte eine weitere Zulassung der Postkarte zum internationalen Postverkehr (seit 1875), eine Erweiterung bis hin zur „Weltpostkarte“. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Ansichtskarte aufgrund neuerer Druckverfahren, die sich im großen Stil schließlich durchsetzte. Die mehrmals tägliche Zustellung der Post vornehmlich in den großen Städten der westlichen Industrieländer ermöglichte eine Verabredung per Postkarte noch am selben Tag, was ihre Beliebtheit noch weiter förderte.