Berlin den 10ten September 1886
Lieber Karl!
Es geht nun die erste Woche seit unserer Rükkehr zu Ende, und nachdem die ersten Gespräche hier befriedigt und die gewohnte Ordnung im Ganzen wiederhergestellt ist, sende ich Dir unsere herzlichen Grüße und spreche Dir wiederholt unseren Dank aus für die freundliche Aufnahme in Deinem Hause, die Du und Deine lieben Kinder besonders unserem Klärchen in den vergangenen Wochen in so reichlichem Maaße gewährt habt. Ich wünsche auch von ganzem Herzen, daß inzwischen Deine leidige Augenentzündung ganz gehoben sein möchte und Du Deine Thätigkeit wieder in ganzem Umfang hast aufnehmen können. Hoffentlich hast Du auch an dem Hochzeitsfest im Grundherrschen Hause Theil nehmen dürfen; wir haben wenigstens unsere Glük- und Segenswünsche telegraphisch dorthin gelangen lassen.
Unsere Reise von Erlangen hierher ist ganz erträglich abgelaufen. Wir konnten bei schönem klaren Sternenhimmel und erquikender nächtlicher Luft den Schnellzug, der sich etwas verspätete, auf Eurem Bahnhof abwarten | und fanden mit Hülfe von Trinkgeld ein bequemes Unterkommen in einem ganz leeren Coupe, und auch als wir dies bei anbrechendem Morgen in Hof verlassen mussten, wurden wir in einem Coupe erster Klasse untergebracht, welches wir ausschließlich bis Berlin benutzten. So kamen wir ohne sonderliche Anstrengung Mittags hier an und wurden von unseren Hausgenossen freundlich begrüßt. In unserer Wohnung fanden wir auch alte gewünschte Reparaturen fertig ausgeführt. Am Abend kam Willy von Burg angefahren und blieb bei uns bis zum folgenden Abend. Er ist recht wohl und in rühriger Thätigkeit in seinem neuen Beruf. Gestern erhielten wir von ihm die Nachricht, daß sein Kreistag einstimmig beschlossen habe, zu seinen Gunsten auf sein Vorschlagsrecht in Betreff der Besetzung des Landrathsamtes zu verzichten, so daß nunmehr seine Ernennung zum Landrath zu erwarten ist. In Folge dessen will er jetzt auch in seiner Amtswohnung sich durch gebührende Ausstattung mehrerer Zimmer häuslich einrichten, um das Logis im Gasthof aufgeben zu können. Er wird ebenso bald genöthigt sein, sich zu | seinen Fahrten im Kreise Pferde und Wagen anzuschaffen; hoffentlich wird er dabei mit Vor- und Umsicht verfahren. Im Ministerium hier können sie sich noch immer nicht erklären, warum er hier die ihm dargebotene glänzende Laufbahn aufgegeben hat. Aeußerlich genommen ist es auch nicht zu begreifen; es müssen ihn innere Gründe dazu bewogen haben, über welche er sich nicht ausspricht. Ich mag auch in seine eigenen Entschließungen nicht eingreifen und bin froh und dankbar, daß er in seiner neuen Stellung voll befriedigt ist; es ist doch eine lebensvolle neue Welt, die ihm darin sich eröffnet hat.
Wir haben fortdauernd eine unerschütterlich drükende Hitze, die auch zu einer gemächlichen Ruhe nöthigt. Von Marie haben wir die letzte Nachricht noch aus St. Moritz, wo sie beim herrlichsten Wetter die kühle Frische der nahen Gletscher genießen. Sie wollen sich in Betracht der Hitze auf die oberitalienischen Seen beschränken und erwarten die nächsten Briefe in Bellagio am Comer See; es wird auch dort warm genug sein. Ihre drei Kinder hier sind ganz munter.
Im Konsistorium und in meinen Vereinen habe ich alles in guter Ordnung gefunden. Die Menschen leben hier als wie in den |
Hundstagen; der Herbst wird aber doch endlich, hoffentlich mit dem nächsten Vollmond, seine Rechte geltend machen.
Herzliche Grüße von Klara und Klärchen an Dich und Deine lieben Kinder.
Mit treuen Wünschen für Dein Wohlergehen
Dein Bruder
Immanuel
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Karl Hegels Gedenkbuch. Lebenschronik eines Gelehrten des 19. Jahrhunderts, Köln, Weimar, Wien 2013.
Neuhaus
, Karl Hegels Gedenkbuch
2013
Hegel, Wilhelm (Willi)Wilhelm Hegel13593263718491925Hegel, Wilhelm (Willi) (1849–1925), in Berlin geborener Sohn Immanuel (1814–1891) und Friederike Hegels (1822–1861), Ehemann Armgard Hegels, geb. Wulffen (1862–1928), und Neffe Karl Hegels. Er war hoher preußischer Verwaltungsbeamter, u. a. von 1886 bis 1890 Landrat des Kreises Jerichow I, von 1895 bis 1905 Regierungspräsident von Gumbinnen, von 1905 bis 1908 in Allenstein, von 1908 bis 1917 Oberpräsident der Provinz Sachsen. Es war von 1887 bis 1890 Mitglied des Deutschen Reichstages und wurde im Jahre 1909 in den erblichen preußischen Adelsstand erhoben.
Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell
Clara Hegel, geb. Flottwell116570776?18251912Hegel, Clara (Klara), geb. Flottwell (1825–1912), Tochter Eduard Heinrich Flottwells (1786–1865) und Auguste Flottwells, geb. Lüdecke (1794–1862), jüngere Schwester Friederike Hegels, geb. Flottwell (1822–1861), der ersten Ehefrau Immanuel Hegels (1814–1891) und dessen zweite Ehefrau ab 8. September 1865.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Hof50.3219015,11.9178807Seit 1810 Stadt im Königreich Bayern, an der Saale im Vogtland gelegen und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Knotenpunkt der bayerischen Ludwig-Süd-Nord-Bahn und der Sächsisch-bayerischen Eisenbahn, zentral für die Nord-Süd- und die Ost-Westverbindungen.
Burg52.2705632,11.8588198Etwa 25 Kilometer nordöstlich von Magdeburg und etwa 120 Kilometer südwestlich von Berlin gelegene Kreisstadt.
St. Moritz46.4978958,9.8392428Etwa 65 Kilometer südlich von Davos gelegene Gemeinde im Schweizer Kanton Graubünden, deren Aufstieg zu einem der bekanntesten Kurorte in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann.
Bellagio45.9872549,9.2613001Etwa 100 Kilometer südwestlich von St. Moritz in der Schweiz und etwa 65 Kilometer nördlich von Mailand gelegene italienische Gemeinde am Comer See an der Spitze der Halbinsel, die die beiden südlichen Arme des Sees trennt.
Comer See45.9917589,9.264881035005711Oberitalienischer See im südlichen Alpenvorland mit den Orten Como und Lecco an den südwestlichen bzw. südöstlichen Ufern; die Mitte des Sees liegt etwa 80 Kilometer nördlich von Mailand und etwa 230 Kilometer südwestlich von Meran.
LandratIm Königreich Preußen Leiter der untersten staatlichen Verwaltungsbehörde, des Landratsamtes.
KonsistoriumOberste kollegiale Verwaltungsbehörde einer evangelischen Landeskirche, durch die der Landesherr sein ihm zustehendes Kirchenregiment ausübte.
HundstageUmgangssprachliche Benennung der heißen Tage im Sommer zwischen dem 23. Juli und 23. August und abgeleitet vom Sternbild des Großen Hundes (Sirius).
SynodeVersammlung von gewählten Laien und Geistlichen zur Leitung und Verwaltung der evangelischen Kirchen auf verschiedenen Ebenen, u. a. Stadt-, Provinzial- und Generalsynoden.