Es ist eine geraume Zeit verflossen, seitdem ich Dir das letzte Mal geschrieben habe; ich habe aber vielen Ansprüchen zu genügen und es wird mir dies schwer bei aller Oekonomie der Zeit und Kräfte, und ich bin froh und dankbar, wenn ich an jedem Tage das Nothwendige habe erfüllen können. Die Gegenwart ist überhaupt voller Unruhe und treibt zu einem gewaltsamen Ausbruch. Ich glaube den furchtbaren Krieg, den alle Welt mit Bangen befürchtet, im Laufe dieses Jahres erwarten zu müssen1; die Spannung des jetzigen Zustands kann nicht fortdauern, es scheint eine Beruhigung oder auch nur ein Stillstand unmöglich zu sein. Man konnte dies eher noch hoffen, wenn der Reichstag sich in der Militärvorlage mit kräftigem Aufschwung mit der Regierung und dem Kaiser verständigt hätte.2 Nun sind wir aber selbst in eine schwere innere Zerrüttung hineingeworfen, welche den Eifer der äußeren Feinde verstärken muß. Ob die jetzigen Reichswahlen3 die Regierung wesentlich stärken werden, ist noch nicht zu ermessen. Der innere Hader, vor Allen der unglückliche Kulturkampf, hat das Kapital des Patriotismus in unserem Volk sehr geschwächt, und zugleich ist das Friedensbedürfniß in allen Kreisen so groß, daß jeder Vorwand gern ergriffen wird, die Dinge laufen zu lassen, wie sie wollen. Wir gehen jedenfalls einer schweren Zeit entgegen und ein Jeder hat sich selbst im Gottvertrauen zu festigen.
Dazwischen will nun mein Sohn in aller nächster Zeit Hochzeit halten; ich hätte aus vielen Gründen gewünscht, daß sie bis zur besseren Jahreszeit im Frühjahr verschoben würde, doch Willy treibt mit aller Macht und so wird noch der 1ste März festgehalten. Es versteht sich von selbst, daß wir Berliner uns dazu nach Pietzpuhl begeben; die Reise ist für uns auch klein; auch will die Schwiegermutter keine große Hochzeit geben, da der Vater erst vor anderthalb Jahren gestorben ist.4 Die Braut Armgard hat sich im vorigen Monat mehrere Tage lang bei uns in meinem Hause aufgehalten; es war uns sehr lieb, sie dadurch näher kennen zu lernen und wir haben uns herzlich an ihr erfreut. Ihr unbefangenes natürliches und freundliches Wesen, ihr verständiges und taktvolles Benehmen hat uns das Zusammenleben mit ihr leicht gemacht, und uns die zuversichtliche Hoffnung gegeben, daß Willy in ihr eine wackere, tüchtige Frau gewinnen werde. An leidenschaftlicher jugendlicher Liebe zu einander fehlt es auch bei keinem von Beiden, und es ist dies für die Ehe bei sittlichem Ernst und fest gegründeter Gottesfurcht immer ein schöner Schmuck. Die Mutter von Wulffen ist eine nicht bloß in ihrer äußeren Erscheinung eine sehr stattliche Frau, sondern auch sehr thätig und energisch; es ist für sie keine Beschwerde, die Ausstattung und Hochzeit in so kurzer Zeit auszurichten. Für Willy kommt aber nun der Umstand hinzu, daß er nicht bloß als Landrath die Reichstagswahl in seinem Kreise vorzubereiten und zu betreiben hat, sondern er auch von den Konservativen als Kandidat für die beiden zur Wahl verbundenen Jerichower Kreise aufgestellt worden ist. Er reist daher nun seit acht Tagen in beiden Kreisen umher und hält täglich Wahlreden an allen Orten; es scheint, daß auch die National-Liberalen, die Anfangs schwierig waren, ihn unterstützen wollen gegen Freisinnige und Sozialdemokraten; ob er aber nun wirklich gewählt werden wird, kann erst der Ausgang zeigen. Er ist persönlich in seinem Kreise beliebt; bei solcher Wahl kann man sich aber täuschen und eine Niederlage wäre für seine Stellung als Landrath sehr empfindlich. Die Flitterwochen müssen ihn dann trösten; auf der anderen Seite werden sich diese mit der Berufung und Theilnahme am Reichstage schwer vereinigen lassen. Doch müssen wir ihm diese Sorge anheimgeben.
Bei Bitters sind die Masern glüklich überstanden und alle drei Kinder haben sich in der Dauer des Frostes sehr am Schlittschuhlaufen vergnügt; selbst auch Rudel hat darin gute Fortschritte gemacht. Rudel ist jetzt im Abgeordnetenhause thätig; auf die Wahl zum Reichstage durch den Waldenburger Kreis hat er verzichtet. – Clara war vorgestern in Potsdam bei Theodor und hat ihn bei leidlichem Befinden gefunden; er beschäftigt sich sehr mit dem Hochzeitsgeschenk für Willy. Ich habe unsererseits für die Gabe einer Stutzuhr im Rokokostyl entschieden.
Klara und Klärchen befinden sich wohl und haben auch viel zur Hochzeit zu thun. Beide tragen mir herzliche Grüße auf und wünschen mit mir, daß Dein Augenleiden ganz überwunden sein möchte.
Mit herzlichen Grüßen für Deine Kinder