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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 14. März 1887

Lieber Karl!

Von Willys Hochzeit zurückgekehrt habe ich hier viel Arbeit vorgefunden und komme erst heute dazu Deinen lieben Brief vom 27sten vorigen Monats1 zu beantworten. Es wird mir in meinem Alter auch schwerer allen Ansprüchen zu genügen, die an mich herantreten.

Die Hochzeitsfeier am Sonnabend dem 5ten dieses Monats war in jeder Beziehung befriedigend und schön in voller Harmonie aller Theilnehmer. Wir fuhren am Freitag2 Mittag zusammen nach Burg; Schwager Adalbert, der am Tage vorher von Breslau gekommen war, ich mit Clara, Marie und Klärchen und Staatsanwalt Wagner, Willis intimer Freund; mein Schwiegersohn Rudolf war noch durch kommissarische Verhandlungen des Landtags zurückgehalten und konnte erst am Abend nachfolgen. In Burg begrüßte uns Willy auf dem Bahnhof und wir fuhren mit ihm in die Stadt in sein Ständehaus; ein sehr geräumiges stattliches Gebäude mit großem Hof und Garten, und in der oberen Etage eine sehr anständige Wohnung von 12 Zimmern, reichlich und wohnlich eingerichtet. Nach kurzem Frühstück fuhren wir zusammen nach Pietzpuhl in einer kleinen Stunde. Es ist ein großartiges vor zwei Jahrhunderten angelegtes herrschaftliches Haus mit stattlichen Nebengebäuden; vorne ein großer Wirtschaftshof und hinten ein weiter schöner, wohl gepflegter Park mit Garten jeglicher Gattung und Gewächshäusern; auf einem hoch gewölbten Sutterein für Küche und dergleichen. Zwei Stockwerke, in dem oberen auch ein großer Betsaal, in welchem alle 14 Tage für die Gutsbewohner Gottesdienst gehalten wird. Im ersten Stockwerk die Wohnzimmer nach dem Park zu sind mit alten schönen Gobelins geschmückt und über ihnen schauen die Portraits der Vorfahren auf das lebende Geschlecht. Es wäre freilich noch schöner gewesen, wenn die Hochzeit im blühenden Frühjahr gefeiert worden; Willy wollte aber nicht länger warten mit Rücksicht auf die unsicheren Zeitverhältnisse. Bei der Ankunft empfingen uns an der Freitreppe die Mutter der Braut, eine auch jetzt noch schöne repräsentable Frau, sehr tüchtig in ihrem Beruf in der Leitung der großen Wirtschaft, dabei schlicht und offen im Verkehr. Wir wurden alle sehr3 untergebracht und vortrefflich verpflegt; mit sicherer Hand und Voraussicht wurden alle Anordnungen getroffen und verlief auch die ganze Hochzeitsfeier in bester Ordnung. Es nahmen daran Theil die älteste Tochter, eine hübsche elegante Frau mit ihrem Manne Rittmeister von Pieschel bei den Kürassiren in Brandenburg. Die jüngste Tochter an Herrn von Bredow-Ihlow, Gutsbesitzer verheiratet, kam nicht, weil sie vor Kurzem ihr einziges Kind verloren hatte. Zur Hochzeit am Sonnabend er- schienen die notablen, meist verwandte Gutsbesitzer des Kreises von Wulffen, von Thümen, Graf von Hagen – ein sehr gebildeter, auch in kirchlichen Angelegenheiten mit Herz und bisher thätiger Mann –, von Nathusius-Königsborn, ein renommirter Landwirth, alle mit ihren Frauen. – Die zahlreichen Hochzeitsgeschenke waren in einem Zimmer zu allgemeiner Bewunderung aufgestellt. Darunter trat auch würdig die von Dir dargereichte Rafaelsche Madonna mit dem Schleier, ein sehr schöner Kupferstich4 hervor und wurde von dem Brautpaar mit herzlichem Dank anerkannt. Auch Deine Kinder Lommels und Kleins, die ersteren mit zwei hübschen Bronze-Leuchtern und die letzteren mit einer von Clara fein ausgesuchten geschmackvollen Lampe hatten sich dabei liebenswürdig betheiligt. – Die Trauung vollzog der Superintendent Pfeiffer aus Cracau bei Magdeburg in würdiger Weise in der Kapelle des Hauses, nachdem unmittelbar vorher im Hause selbst die Eheschließung von dem Standesbeamten vollzogen worden war. Es folgte das höchst anständig zugerüstete Hochzeitsmahl mit der Musik des in Burg stationirten Artilleriekorps: unter Begleitung zahlreicher Toaste und der vielen ankommenden Telegramme mit Glück- und Segenswünschen von Nah und Fern, darunter auch von Erlangen, Nürnberg und München. Am Abend fuhr dann das junge Ehepaar mit herzlicher Begrüßung nach seinem Wohnsitz ab, wo sie auch zunächst in möglichster Stille und Ruhe verweilen werden. Willy wird nicht hier mit seiner jungen Frau Quartier nehmen, sondern bei der leichten Eisenbahnverbindung von Burg mit Berlin, zu welcher er auch die Freikarte als Abgeordneter besitzt, nur zu den nothwendigen Sitzungen herüberkommen, wie er auch an den drei Abstimmungen über das Septenat hergefahren ist, um am selbigen Tage wieder heimzukehren. Es wäre auch ein ebenso kostspieliger, wie ungemüthlicher Aufenthalt, wenn er hier mit seiner Frau in chambre garnie5 wohnen sollte. – Wir Berliner blieben noch am Sonntag in Pietzpuhl; Clara fuhr am Abend nach Magdeburg, wo sie zwei Tage bei Marie Trinkler verweilte, wir anderen kehrten nach Hause zurük. So war nun dieser wichtige Familien-Akt würdig vollendet und das junge Ehepaar hat nun die Aufgabe, nach Begründung seines Hausstandes sich friedlich und herzlich zu inniger Gemeinschaft zusammenzuleben, während daneben auch das arbeitsvolle Leben seine Rechte fordert.

Du wirst vermuthlich nächstens auch Deine gewöhnliche Einladung zur Jahreskonferenz der Reichs-Kommission hierher erhalten und wir rechnen darauf, daß Du für die Tage Deines hiesigen Aufenthalts wieder die gastliche Aufnahme in unserem Hause auf unsere Bitte annehmen wirst und ebenso wird uns ein Töchterlein in Deiner Begleitung herzlich willkommen sein. Du wirst uns wohl im nächsten Briefe darüber bestimmte Nachricht geben. Da der politische Himmel jetzt wieder ein friedlicheres Aussehen gewonnen hat, so wirst Du vielleicht auch im Stande sein, den erwarteten Briefwechsel des Winters mitzubringen.

Clara und Klärchen senden Dir und Deinen Kindern viele herzliche Grüße. In herzlicher Liebe Dein

Immanuel