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Clara Hegel, geb. Flottwell, an Karl Hegel, Berlin, 5. Mai 1887

Mein lieber Bruder Karl!

Herzlichen Dank für Deinen lieben freundlichen Brief2 und die Versicherung daß es Dir wohl bei uns gewesen ist, in dieser Trauerzeit3 die Du so herzlich und brüderlich mit uns getheilt hast, daß wir es Dir nur von Herzen danken können, und ich namentlich mußte wohl erkennen, welch einen Schatz ich noch in Deinem treuen Bruderherzen besitze, denn ich den eignen Bruder schmerzlich vermisse.

Wir waren in diesen Tagen mit der Auflösung4 in Potsdam noch schmerzlich beschäftigt, daher entschuldige meine späte Antwort – gestern trafen wir Willi dort, der uns sehr erfreut von dem Wiedersehen mit Dir, und Deiner Frische und Liebenswürdigkeit erzählte – Nachmittags ist noch Mutter Wulffen, und die Geschwister Pieschel aus Brandenburg erschienen – daß Du erstere nicht sahst, thut mir leid, da sie einen freundlichen Typen oder Kobold für die Tochter darstellten, in dem Du auch dieses 5 vortheilhafter beurtheilt hättest. Ich nehme aber doch an, daß Dein Total Eindruck von Anna ein günstiger war, bis auf die unreifen geradezu Schwärmereien für Ottos Schlösser. Auch finde ich es nicht zu tadeln daß Willi sie darin gehen läßt, bis seine tiefe und gründliche Bildung und Ansichten, erst eine überzeugende Kraft wie ihr geziemt, was ich durchaus nicht aufgebe. Sehr gespannt bin ich allerdings das junge Paar vereinigt zu sehen; vorläufig kommt Willi Dienstag auf ein paar Tage zum Reichstag – später auf längere Zeit. Das Osterfest6 hatten sie sehr hübsch in Pietzpuhl verlebt und Armgard sollte jetzt noch dort bleiben und sich von einer gründlichen Erkältung, die leider oft zu kommen scheint, erholen.

Wir haben den ersten Feiertag bei unseren lieben Kindern, mit Broichers zugebracht, den 2ten ganz für uns, bis ein kleiner Fall, den mein armer Mann in der Kirche that, es nöthig machte, seine Schläfe den ganzen Tag mit kaltem Waschen und Arnica zu kühlen – Gott sei Dank ist alles ganz gut überwunden und ich bin sehr froh, daß nur noch eine blau und gelbe Stirne daran erinnert! Also wollen wir es nicht weiter verschreien! Er grüßt Dich sehr herzlich und Deine Kinder mit mir. Bei Bitters ist Gottlob alles gut – Conrad ist zwar mit schlechter Censur, aber doch noch nach Secunda versetzt. Clärchen grüßt herzlich den lieben Onkel und die lieben Cousinen, von denen freilich nur eine um Dich ist. In treuer Liebe Deine

Schwester Clara

P. S. Adalbert hat ein frohes Osterfest mit seinem ältesten Sohn gefeiert.