XML PDF

Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 6. Juni 1887

Lieber Karl!

Dein lieber Brief1 aus Ems giebt mir ein anziehendes Bild von Eurem angenehmen und vergnüglichen Leben in dem schönen Lahnthal. Ich habe auch dort in verschiedenen Jahren heitere Tage zugebracht.2 Die Eisenbahn, die Lahn hinauf bis Wetzlar bietet eine reiche Abwechslung der schönsten Parthien; ebenso hinunter nach dem Rhein mit Stolzenfels, Koblenz und den anderen Punkten an dem herrlichen Strom. Eine große Verbesserung ist jetzt durch die Radbahn auf den Mahlberg; denn man sucht bei dem Aufenthalt in dem engen heißen Thal auch gern die erfrischende Luft auf Bergeshöhe auf, wo die Lunge freier athmen kann. Bei Allem werden die lieben Frauen, welche die Kur gebrauchen, gewiß auch darauf Bedacht sein, sie mit Sorgfalt und Vorsicht als die Hauptsache zu benutzen; denn die Katarrhe mit Hals- und Lungenleiden verlangen doch eine ernste und gründliche Behandlung: Gott gebe Euch Allen dazu Seinen Segen!

Morgen kehrt nun im Fortschritt der Zeit auch Dein Geburtstag3 wieder, und wir bringen Dir zu diesem festlichen Tage auch unsere herzlichen Glück- und Segenswünsche. Wir haben uns bei Deinem lieben Besuch in diesem Frühjahr4 sehr gefreut über Deine Rüstigkeit und Dein Wohlaussehen. Der Herr möge Dir diese Frische mit ihrem friedsamen Behagen noch recht lange erhalten, und dazu auch der Emser Aufenthalt beitragen. Wir müssen in unserem Alter für jedes Jahr, da es uns vergönnt ist, unserem Beruf und unserer Familie mit herzlicher Befriedigung zu leben, recht dankbar sein. Wir denken hier mit inniger Theilnahme an das plötzliche schwere Leiden unseres Kronprinzen, dem Ems auch nicht hat helfen können.5 Man muß den Versuch des englischen Arztes jetzt mit Geduld abwarten; unsere Aerzte nehmen das Leiden ernster auf und halten eine Operation für unvermeidlich.6 Es ist ein schweres Geschick für den Prinzen, den alten Kaiser, das Königliche Haus und das ganze Vaterland. Ich denke mir seinen Seelenzustand schrecklich; nach einer so ruhmvollen Vergangenheit mit den reichsten herrlichsten Zukunftsbildern nun plötzlich von der gewaltigen Hand Gottes ergriffen zu werden, die ohne Seine Allmacht und das Bedürfniß Seiner Gnade fühlen und erkennen läßt.

Am 1sten Juni war der Geburtstag Armgards, die während ihre Mutter in Oynhausen weilt, und sich mit den Beschwerden der guten Hoffnungen, die sich sonst sehr erfreulich ankündigen, zu plagen hat, sich in Pietzpuhl aufhält, wo auch Willy seine Zeit meistens zubringt. Zu ihrem Geburtstag fuhren Clara und Marie hin, während Clärchen schon seit acht Tagen zum Besuch dort ist und sich und den Geschwistern sehr gefällt. Morgen Dienstag wird sie mit Willy heimkehren, der wieder sich zum Reichstag einfinden muß. Clara war schon am Freitag7 zurükgekehrt und ist von dem schönen Aufenthalt in Pietzpuhl mit seinem Park sehr entzükt. Ich war am Mittwoch8 Nachmittag nach Halle gereist, wo auf Anregung der Stuttgarter Bibelgesellschaft eine Konferenz von Vertretern der deutschen Bibelgesellschaften zur Berathung über gemeinsame Interessen namentlich in Bezug auf die britische Gesellschaft in London, welche Anstalten macht sich von ihrer Thätigkeit in Deutschland zurükzuziehen, sich zusammenfand. Meine Aufgabe bestand darin, die Erregung der Württemberger über das Vorgehen der Engländer zu beruhigen; den letzteren mit dem Ausdruck des Dankes für ihre bisherigen großartigen Leistungen auch in Deutschland, die Entschließung über ihr weiteres Verhalten ganz zu überlaßen, und uns zu bemühen, das Bibel- bedürfniß in Deutschland nach Kräften zu befriedigen. Unsere Berathungen fanden in den Frankeschen Stiftungen statt. Es war uns ein kühler Saal hier angewießen; vielleicht war ich etwas erhitzt hingekommen und auch sonst erkältet, so daß mich ein Fieberfrost anfiel, der mich bewog, nach Beendigung der Berathungen des ersten Tages, rasch mit dem Abendzug nach Berlin zurükzukehren, nachdem ich noch vorher meinen alten lieben Freund, Präsident Rothe besucht hatte. Ich bin dann zwei Tage zu Hause geblieben, werde aber heute beim schönen Sommerwetter wieder mein Konsistorium aufsuchen.

Zu Pfingsten9 waren wir wieder auf freundliche Einladung im grünen Havelland beim Ritterschaftsdirektor von Knoblauch in Pessin und haben dort im schönen Blüthenschmuck der Gärten im Schooße der liebenswürdigen Familien, auch bei Bredow in Senzke sehr erquikliche Tage zugebracht.

Der Unfall von Georg ist doch sehr bedauerlich und scheint ernstere Nachwehen zu haben, als es zuerst den Anschein hatte; möchte sein Bein vollständig kurirt werden, daß er wieder ohne Beschwerden reiten kann.10 Wir grüßen ihn mit dem Ausdruck unserer Theilnahme herzlich: der Soldat muß allerdings gesund mit allen seinen Gliedern sein.

Deiner liebe Luise und Grundherrn überbringe auch unsere herzlichen Grüße.

Mit treuen Wünschen Dein Bruder Immanuel

P. S. Unseren Generalbescheid über die Mischehen werde ich Dir im Kreuzband schicken.