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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 5. Oktober 1887

Lieber Karl!

Für Deinen lieben Brief1 mit Deinen treuen Wünschen zu meinem Geburtstag2 danke ich Dir herzlich. Wir haben ihn mit den Kindern froh und dankbar in gutem Wohlsein verlebt; bei den vielen Wünschen, die wir in unserem Alter zu einem thätigen Leben nöthig haben, müssen wir es als eine besondere Gnade Gottes erkennen, wenn wir vor größeren Uebeln und Beschwerden behütet werden. In den letzten Tagen sind wir durch den plötzlichen Tod unseres Neffen, meines vormaligen Mündels Otto Trinkler in Magdeburg nahe berührt worden. Er war Lieutenant im dortigen 66sten Infanterie- Regiment und erst 27 Jahr alt. Er litt früher an Gelenk-Rheumatismus mit Herzaffektion und war sehr korpulent geworden. Nach dem letzten Manöver erkrankte er in Folge von Erkältung, und nach kurzer Krankheit starb er in Folge eines Herzschlages. Sehr beklagenswerth ist seine treue Schwester Marie, die ihn von früher Kindheit an wie eine Mutter mit großer Liebe erzogen und gepflegt hat; sie lebte mit ihm zusammen; die Beschäftigung und Sorge für ihn erfüllte ihr ganzes Leben und sie ist selbst seit vielen Jahren an einem schweren schmerzlichen Augenübel leidend. Es ist schwer abzusehen, wie sie diesen Verlust überstehen und ihre Lebenseinrichtung treffen wird. Clara ist sogleich am letzten Sonnabend3 zu ihrem Beistand hinüber gefahren und wird erst heute Abend zurükkehren in Begleitung von Adalbert, der auch von Breslau aus hingekommen war. Am Montag, vorgestern, fand die Beerdigung statt, an der ich mit Willy auch Theil genommen habe. Die Feier war recht würdig unter Theilnahme des General-Superintendenten Doktor Möller und des ganzen Offizierkorps mit den üblichen militärischen Ehrenbezeugungen; es bezeugte sich dabei der kameradschaftliche Geist, der die Armee auszeichnet. Ich war auch von dem schönen Kirchhof, den die Stadt Magdeburg mit einer großen stattlichen Kapelle neu angelegt hat, beeindruckt. Nachdem die Stadt nach Anlegung der weit abgelegenen äußeren Forts von den engen fesselnden Banden der alten Befestigungen befreit worden ist, entwickelt sie sich überraschend in reichem Wohlstand.

Gleichzeitig kam eine andere, aber erfreuliche Nachricht, daß unsere junge Nichte Clara in Lautensee sich mit einem Vetter Dr. medicinae Emil Götz verlobt hat. Meine Schwägerin Pauline muß nun freilich ihre jüngste und letzte Tochter hinausgehen lassen, und es wird ihr, da sie selbst viel leidend ist, die Einsamkeit schwer werden. Ihr ältester Sohn Paul hält sich jetzt hier auf und schwitzt im großen Examen zum Regierungs-Referendar.

Unter Deinen Mittheilungen hat mich besonders die Nachricht von der völligen Wiederherstellung Deines Georg und daß er das Manöver gut und fröhlich bestanden hat4, herzlich erfreut; er hatte doch eine schlimme Anfechtung zu bestanden5, die ihm und Dir ernste Sorge bereiten konnte. Hoffentlich hat Dich die Theilnahme an der historischen Kommission in München befriedigt6 und wird Dir der Besuch bei den lieben Lommels wohl gethan haben. Mit lebhaftem Interesse habe ich von den mir übersandten gedrukten Diplomen und Adressen zu Deinem Jubiläum Kenntniß genommen.7 Am besten hat mir die Ansprache Deiner älteren und gegenwärtigen Mitarbeiter bei den Werken der Städtechroniken gefallen8; sie spricht eine eingehende sachlich dargestellte und wohlbegründete Anerkennung an, die auch eine herzliche Theilnahme erweken muß. Ebenso ist die Adresse der Berliner Akademie9 mit warmem und ernstem Verständniß der Ehre, die sie anerkennt, würdig gefaßt. Die Beantwortung aller dieser Bezeugungen ist freilich auch eine Arbeit, bei der es nützlich sie bald zu erledigen; denn die festliche Stimmung nimmt mit der Zeit immer mehr ab.

Von dem Tode der Frau Karoline von Tucher habe ich auch durch die Kinder eine Anzeige erhalten und nicht unterlassen, ihnen auch meine Theilnahme zu bezeugen. Es hat mich überrascht, zu erfahren, daß Christoph von Tucher seinen Abschied genommen hat, um einen Theil der Verwaltung für die Tuchersche Familie zu übernehmen; es ist ein Beweis von dem Umfang und der Bedeutung dieser Verwaltung.

In der letzten Woche des Oktobers wird hier die Brandenburgische Provinzialsynode versammelt sein, bei der ich als Kommissarius des Kirchenregiments fungiren muß, und auch genöthigt bin, dem Vorstand ein Diner zu geben. Die Synode wird voraussichtlich mit dem Hammersteinschen Antrag, oder vielmehr den Forderungen nach Gewährung einer größeren Selbständigkeit der evangelischen Kirche sich lebhaft beschäftigen; da diese Verhandlungen vornehmlich an die Staatsregierung gerichtet sind, so werde ich auch amtlich mich wenig dabei betheiligen, sondern nur meine persönliche Stellung dazu aussprechen können.

Ich weiß nicht, ob Clara Deine Anfrage über den Gebrauch des homöopathischen Mittels Euphrasia schon beantwortet hat; sie wollte deshalb an Deine Marie schreiben; wenn dies noch nicht geschehen, so werde ich sie daran erinnern. Jedenfalls darf es nicht äußerlich, sondern nur innerlich gebraucht werden.

Deinen lieben Kindern sende ich herzliche Grüße. In herzlicher Liebe und mit guten Wünschen

Dein Bruder
Immanuel