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Karl Hegel an Luise Lommel, geb. Hegel, Erlangen, 1. April 1888

Meine liebe Luise!

Ich sehe mit herzlichem Antheil Deinem Geburtsfeste1 übermorgen entgegen. Dein lieber Mann und Deine fröhlichen Kinder – gewiß werden sie es an diesem Tage sein – werden Dir am Morgen des Tages ihre Glückwünsche darbringen, und ich sehe Dich, wie Du sie gerührt empfängst. Nimm auch meine väterlichen ebenso an, in dem Gedanken, daß ich sie Dir nicht mehr oft in kommenden Jahren werde wiederholen können. Um so inniger müssen sie sein und um so mehr auf Dein zukünftiges Leben als Gattin und Mutter sich schon jetzt erstrecken. Ich fühle es mit Dir, für wie viel des schönen und seltenen Lebensglücks, das Dir in Mann und Kindern zutheil geworden, Du Gott zu danken hast. Möge Dir solches noch recht lange ungetrübt erhalten bleiben!

Seit vergangenem Dienstag2 bin ich wieder in Erlangen und meiner stillen Studierstube, die mir nach den bewegten Tagen in Berlin und Göttingen noch mehr als sonst gefällt.

6 und ½ Tag war ich in Berlin und 3 und ½ in Göttingen.3 Von den Erlebnissen an beiden Orten wäre viel zu erzählen. Ich erwähne nur, was mich persönlich berührt. Ich sah den großen Trauerzug4 unter den Linden vorübergehen von Bitters Arbeitszimmer aus mit den Verwandten, verzichtete aber auf den Besuch des Doms, den ich besten Falles durch beständiges Stehen und Gedrängtwerden bei Kälte und Schnee hätte erkaufen müssen. Denn es war in diesen Tagen bitter kalt mit scharfem Nordwind, und nach dem Tage der Beisetzung fiel unendlicher Schnee 3 Tage hindurch, der den Straßenverkehr wenn nicht hinderte, doch störte. Meine Sitzungen5 dauerten nur zwei Tage. Ich muß noch erwähnen, daß ich auf der Hinreise nach Berlin in Erlangen beim Einsteigen auf der Eisenbahn mit Giesebrecht zusammentraf und dessen angenehme Gesellschaft genoß; wir übernachteten in einem vorzüglichen Gasthof in Altenburg. Ferner daß Willi und Armgard zur Trauerfeier nach Berlin herüber kamen und mit mir bei meinem Bruder und Klara zu Gast waren. Ich verließ Berlin am Donnerstag, 22. März; eine unabsehbare einförmige Schneedecke verhüllte die ganze Gegend, und in Göttingen fand ich nicht geringere und bald aufthauende Schneemassen als in Berlin, aber sehr viel mehr tiefen Schmutz auf den Wegen vor den Thoren. Anna erwartete mich mit den beiden Kindern Otto und Luischen auf dem Bahnhof, Otto zog das Gepäck auf seinem Schlitten nach der Werder Chaussee Nr. 6. Anna fand ich wohl und nach bekannten Umständen stark, Felix übel aussehend; er klagte über Mangel an Schlaf. Sophiechen sieht aus wie ein leibhaftiges Engellein und ist lebhaft, spröde d. h. durchaus abgeneigt, Zärtlichkeiten anzunehmen und bisweilen eigensinnig, wie seine Eltern sagen. Luischen hat sich anmuthig entwickelt, Otto fand ich wenig verändert; er baute im Garten eine Schneeumwallung oder Ringburg mit anderen Knaben und Felix trieb mit ihnen Schneeballen; doch mußte Otto dafür aufs Neue mit Asthma büßen.

Ich besuchte meine Bekannten, Frensdorff, Schröder und Ihering, und war zweimal auf der Bibliothek. Auch sah ich den Bauplatz für das neue Haus, zu dem schon trotz Schnee und Schmutz der Grund aufgegraben wurde; er ist gut gelegen beim botanischen Garten und gleich weit vom Auditorium, wie dort das Collegienhaus heißt, und vom Gymnasium. Anna brachte mich zur verwandten Fräulein Schulz, die nur zu weit entfernt wohnt, um häufigen Verkehr zu gestatten. Ein bildschönes Töchterlein, sogut wie erwachsen an Gestalt, sollte am folgenden Tag confirmiert werden.

Auf dem Rückwege von Göttingen her verließ mich die Schneefläche erst bei Fulda; ich übernachtete in Würzburg und besuchte Wegele und Lexer.

In Erlangen war schon Frühling bis 10º Wärme, doch hat sie nicht angehalten. – Von Sigmund erhielt ich einen recht erfreulichen Brief in Berlin. Ich brachte ihn hierher mit, er ist aber leider jetzt nicht mehr aufzufinden. P. S. Er hat sich gefunden und liegt bei.6

Georg ist regelmäßig abends bei uns zu Hause.

Ich lege mein Geburtstagsgeschenk für Dich hier ein, welches das Loch Deines Geldbeutels etwas ausbessern soll und füge einige Kleinigkeiten hinzu die ich aus Berlin und sonst von der Reise mitgebracht. Die Ostersendung7 aus Berlin wirst Du erhalten haben. Von ganzem Herzen

Dein Dich und die Deinigen liebender
Vater.