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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 29. April 1888

Lieber Karl,

Wir haben lange von Dir nichts gehört und wünschen wieder Nachricht zu erhalten, wie es Dir und den Deinigen ergeht. Der Besuch in Göttingen scheint Dir nicht gut bekommen zu sein; Du warst dort sehr erkältet, hast aber doch hoffentlich Kleins und ihre Kinder wohl gefunden.1 Der harte Winter hat auch lange gedauert und macht sich auch noch jetzt durch Nachtfröste empfindlich geltend. Meine Frau wird erst heute in Begleitung ihres Bruders Adalbert von Danzig zurükkehren, wo sie die Hochzeit der Nichte Clara – Olli genannt – der jüngsten Tochter des verstorbenen Bruders Herrmann, die sich mit einem Vetter, praktischer Arzt Dr. Götze in Danzig, vermählt, gefeiert haben. Ich habe auf das angreifende Unternehmen in meinem Alter Verzicht geleistet. Die Braut, jetzt Ehefrau, ist hübsch, klug, von selbständigem Charakter und sehr vermögend. Der älteste Bruder Paul, jetzt Regierungs-Assessor in Köln, kam auf der Hinreise hier durch; und der zweite Bruder Max, Ulanen-Leutnant in Insterburg in Litthauen war inzwischen auch hier2, um sich zu einer Reise um die Welt und wenigstens nach Amerika3 zu engagiren.

Von Willy haben wir seit dem Osterfest4 nichts gehört; wir hoffen, daß es ihm und seinem Hause gut ergeht und insbesondere sein Wolfgang zunimmt an Alter, Gewicht und Weisheit. Bei Bitters ist auch Conrads Diphteritis in der Hauptsache glüklich überstanden; doch geht die Erholung seiner Kräfte langsam voran: es war besonders eine Lähmung der Sprechorgane zurükgeblieben; doch hat sich auch dies seit acht Tagen ordentlich gebessert. Er war nach Obersekunda versetzt; er selbst aber hat darauf verzichtet und die Eltern haben ihm zugestimmt; er wird vielmehr den Sommer zu seiner völligen Wiederherstellung benutzen müssen und ist auch noch so jung, daß er füglich ein Semester daran geben kann.

Bruder Adalbert will hier mit seiner Tochter Ellis, welche an einem hartnäkigen Ausschlag zum Nachtheil ihrer Schönheit leidet, Dr. Schweninger konsultiren, da andere verschiedene Kuren der Breslauer Aerzte nichts gefruchtet haben; es ist für das junge Mädchen und ihre Eltern eine schwere Heimsuchung.

Vor einigen Tagen war der Kirchen-Kasten-Rendant der Dorotheenstadtkirche bei mir, um mit mir wegen Translokation der Gräber unserer Eltern zu verhandeln. Diese Gräber liegen bekanntlich an der Mauer, welche die dahinterliegende Fahrstraße – genannt Communikation5 – begrenzt. Diese Straße dient zur Verbindung eines lebhaften Verkehrs zweier Stadttheile mit ihren Bahnhöfen, und der Magistrat mit der Straßenpolizei behauptet, daß die Straße den Bedürfnissen nicht mehr genügt und nach Seiten des Kirchhofes um 3 Meter verbreitet werden müße. Diese Angelegenheit schwebt schon seit mehreren Dezennien und die Behörden hatten einen Straßenplan zu diesem Zweck festgestellt, zu dem sie auch die Genehmigung des Königs erlangten. Als ich vor über 20 Jahren das erfuhr, erhob ich dagegen Protest, weil sie ohne jegliche Verhandlung mit den kirchlichen Behörden und den betheiligten Personen die königliche Genehmigung veranlaßt hatten. Es gab einigen Lärm; ich nahm auch die Zeitungen zu Hülfe, und nach einiger Streiterei befahl der König, daß das Projekt bis auf Weiteres vertagt werden solle. Nun wird dasselbe aber wieder mit Nachdruck aufgenommen, und ich muß mich überzeugen, daß wir in Anerkennung des Bedürfnisses der Straßenverbreitung, welche nur durch Hinzunahme eines anstoßenden Streifens unseres Kirchhofes ausgeführt werden kann, werden nachgeben müssen. Der Kirchenvorstand ist auch sehr zu Gunsten der Sache gestimmt, weil er für den Landstreifen eine reichliche Entschädigung erhalten wird, und es ist zu erwarten, daß der Magistrat auch dazu die gesetzliche Zwangs-Enteignung im Wege des öffentlichen Interesses erreichen werde. Ich habe auf die an mich ergangene Anfrage zunächst erklärt, daß ich zu einem Vergleich vor Allem Deine Zustimmung einholen müsse. Die von uns zu stellenden Bedingungen würden dahin gehen, daß die beiden Gräber unserer Eltern mit den Ueberresten und den vorhandenen Denkmälern auf demselben Kirchhofe an eine andere passende – auch bereits vorgeschlagene – Stelle, die ich aber noch erst an Ort und Stelle ansehen und bestimmen werde, versetzt werden, während ich beabsichtige, das dahinter befindliche Grab meines Kindes Auguste nach dem St. Matthäikirchhof auf eine mir dort gehörige reservirte Grabstelle bringen zu lassen. Die sämmtlichen Kosten dieser Veränderungen müssen von der Kirchenkasse getragen werden. Das gleiche Schicksal wird treffen die Gräber von Fichte und Gattin, von Klenze, Hufeland und andere mehr. Es ist vorläufig die Absicht, die Gräber von Hegel und Fichte nebeneinander zu legen. Ich bitte Dich, lieber Karl, die Sache zu erwägen und mir eine bestimmte Erklärung zugehen zu lassen; es scheint mir aber das Projekt unvermeidlich zu sein.

Clärchen, welche mein Haus allein besorgt, sendet Euch freundliche Grüße, denen ich mich anschließe.

Mit treuen Wünschen
Dein Immanuel