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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 10. Juli 1888

Lieber Karl!

Deinen freundlichen Brief vom 24sten Juni dieses Jahres1 habe ich nicht früher beantwortet, weil unßere Sommerpläne sich erst kürzlich geordnet haben. Wir d. h. Clara und ich, wollen nun morgen nach Ems abreißen, wo wir beide die Kur gebrauchen sollen. Ich werde seit Wochen von einer Art Stickhusten geplagt und Clara, welche schon seit längerer Zeit, namentlich von der Danziger Hochzeitsreise2 mit Husten und Katarrh behaftet war, so daß, wie der Arzt kürzlich urtheilte, ihre Lungenspitzen in Leidenschaft gezogen sind und eine ernstliche Vorsorge nothwendig mache, soll auch die Emser Kur gebrauchen und darauf ein paar Wochen auf der Höhe in den Alpen zubringen. Wohin wir uns von Ems hinwenden werden, ist noch ungewiß; zunächst hat der Arzt Selisberg am Vierwaldstädter See empfohlen; es wird aber darauf ankommen, ob man dort Unterkommen findet. Unser Klärchen haben wir gestern nach Gütersloh in Westfalen befördert, wo sie von der verwittweten Pastorin Emma Menzel, die sich aus der Lausitz dorthin gezogen und ein Haus gebaut hat, in dem sie ein Pensionat für das dortige viel besuchte christliche Gymnasium unterhält, aufgenommen wird. Es ist eine sehr tüchtige Frau, mit der sich auch Klärchen herzlich befreundet hat; sie ist daher mit Ver- gnügen hingegangen. In Ems werden wir wieder, wie in früheren Jahren3, in der Villa bella Riva logiren; sie ist freundlich gelegen und man wird dort gut verpflegt und wir wollen auch die daselbst nahe gelegene Eisenbahn auf den Mahlberg fleißig benutzen; denn man verlangt in Ems nach frischer Höhenluft.

Marie befindet sich seit 8 Tagen mit ihren drei Kindern in Norderney an der Nordsee; es soll dort namentlich Conrad, der noch immer die Schwäche in den Beinen hat, kräftigen, und dies hoffen auch alle übrigen für sich. Zunächst haben sie dort unbehagliches windiges und kaltes Wetter. Rudel kann erst in drei Wochen seinen Urlaub antreten und soll in Pyrmont seine Nerven stärken.

Rudel ist mit der Beförderung seines bisherigen Unterstaatssekretairs Herrfurth zum Minister4 sehr zufrieden; er achtet sehr seine Befähigung und ist mit ihm gut befreundet. Nach den letzten schwülen Wochen hat sich die politische Atmosphäre sehr geklärt; es ist ein großes Glük, daß der gute Kaiser Friedrich von seinem Leiden erlöst5; er war eine edle, sittlich reine, wohlgesinnte Natur, aber politisch unklar und verschwommen. Noch schlimmer seine ehrgeizige, energische, selbstsüchtige britische Gattin, deren Regiment im Reiche ein großes Unheil gewesen wäre. Es war ein großes Glük, daß in dieser schweren Uebergangsperiode noch Bismark am Ruder war und das Schlimmste in kluger Gewandtheit abwehren konnte. Diesem großen Mann ist Deutschland und Preußen viel Dank schuldig; sein Lebensgang und seine politische Wirksamkeit ist eine der wunderbarsten in der Weltgeschichte; gegen ihn kommen die kleinen Lichter nicht auf.

Dein Ausflug nach München zu den Ausstellungen6 war recht interessant und anregend. Unsere Wege werden in diesem Jahre uns nicht durch Bayern führen. Wir hoffen, daß Lommel sich auch wieder erholt haben werde; wir bitten ihm und seiner Frau mit Kindern herzliche Grüße zu senden. An der lieben Anna in Göttingen längeres Leiden nehmen wir innigen Antheil und wünschen ihr baldige Genesung. Dem Vetter Friedrich von Tucher wollest Du zu seiner bevorstehenden Hochzeit in Nürnberg auch unsere freundlichen Glück- und Segenswünsche überbringen. Sobald Du Deinen Aufenthalt im Gebirge gewählt haben wirst, bitten wir, uns nach Ems Nachricht zu gebe.

Als ich vor wenigen Tagen hier dem Legationsrath von Tucher meinen Anstandsbesuch machen wollte, erfuhr ich, daß er schon seit längerm in Nürnberg verweile und dort sein Eigenthum, das alte Tuchersche Haus ausbauen und einrichten wolle.

Deine Kinder grüßen wir alle, nahe und ferne, herzlichst.
Mit guten Wünschen
 Dein Bruder
 Immanuel

P. S. Die Veränderung mit den Gräbern der Eltern wird erst im Herbst vor sich gehen.7