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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 25. September 1888

Lieber Karl!

Für Deine freundlichen Grüße und Wünsche1 zu meinem Geburtstag2 danke ich Dir herzlich. Wir rücken immer näher dem Ende und Ziel, das uns Menschen gesetzt ist, und haben uns zu rüsten zu dem Eingang in die ewige Heimath. Es bewegt mich unendlicher Dank, daß es uns durch Gottes Gnade vergönnt worden ist, ein hohes Alter mit gesegneter Arbeit und in guter Gesundheit und Kraft zu erreichen, und wenn nun die Zeiten der Schwachheit kommen, welche sich auch schon durch mancherlei Gebrechen ankündigen, so werden wir immer eingedenk bleiben, einen wie langen Zeitraum wir durch Gottes Güte gnädig bewahrt, reich an Segen und Erfahrung erlebt haben.

Am gestrigen Tage waren meine Kinder und Enkel – nur der kleine Wolfgang war in Burg zurückgelassen worden, noch zum letzten Male froh bei uns versammelt. Bitters, die beiden Eltern werden mit Konrad heute Abend nach Schlesien abreisen, nachdem sie ihre Sachen gepackt haben. Die beiden Kleinen, Anni und Rudi, sind bei uns untergebracht und werden mit der Erzieherin in acht Tagen nachfolgen. Die Trennung ist für uns Eltern ein großer Verlust; die Alten müssen sich aber in das menschliche Geschick, daß sie vereinsamen, fügen. Bitters ziehen froh und glüklich und mit den besten Hoffnungen in ihre neue Heimath. Es eröffnet sich ihm ein reiches Feld der Thätigkeit, wozu er auch mit Lust und Liebe und den nöthigen Kräften ausgerüstet ist; Oberschlesien ist mit den ungewöhnlichen Schätzen der Natur, besonders Kohle und Eisen, in einer großartigen Entwiklung begriffen und das Land mit seinen Bedürfnissen ist Bitter durch sein früheres Kommissorium zur Ermittlung der Maaßregeln zur Bekämpfung der Kalamitäten, von denen es heimgesucht worden, auch schon näher bekannt geworden. In sein Amt3 ist er auch bereits eingeführt und nur für wenige Tage wegen des Umzugs hierher zurükgekommen. Seine Familie erwartet in Oppeln eine sehr geräumige stattliche Wohnung mit großem Garten. Man fährt von hier über Breslau und von dort erreicht man Oppeln in 1 ½ Stunden. Immerhin ein weiter Weg von Berlin. Bitters haben mich beauftragt, Dir für Deinen freundlichen Gruß herzlich zu danken.

Hoffentlich erreicht Dich dieser Brief noch in Erlangen vor der Abreise nach München.4 Ich bitte Dich der lieben Lommelschen Familie unsere herzlichen Grüße zu überbringen. Es ist interessant, daß Du dort den Besuch unseres jungen Kaisers erleben wirst.5 Er macht in jugendlicher Kraft einen glänzenden bedeutungsvollen Reisezug durch die Welt. Der Herr beschütze Ihn vor allen Gefahren; es überkommt mich zuweilen die Sorge des Zuviel an Glanz und Ehre. Wir wünschen, daß er hernach befriedigt zur Ruhe und Sammlung kommen möchte. Man ist jetzt sehr erregt durch die ungehörigen Publikationen aus den Tagebüchern des Kaisers Friedrich.6 Unser Kaiser soll erst entrüstet darüber sein und die Kaiserin Wittwe läugnet ihre Theilnahme, und es ist nicht zu verkennen, daß die freisinnigen Demokraten die Sache zu ihrem Vortheil auszubeuten suchen. Jedenfalls gewinnt dadurch nicht das Andenken des Kaisers Friedrich, und man kann nur Gott danken, daß die Regierung dieses Monarchen in seiner eitlen Selbstgefälligkeit und Ueberhebung nicht länger als 90 Tage gedauert hat. Es ist übrigens noch zu bezweifeln, daß die Freundschaft mit den Freisinnigen bei längerer Dauer seines Regiments bald in die Brüche gekommen sein würde, denn sein überspanntes Selbstgefühl, die Ehrlichkeit und Reinheit seines Charakters und das Hohenzollern-Blut würden ihn bald zu Konflikten geführt haben.

Paul von Flottwell war gestern auch hergekommen und kehrt, nachdem er seine Schwester Grethe in Neuhaus bei Stade besucht, nach Köln zurük, wo er als Assessor angestellt ist. Er hatte in Sachsen als Reserve-Offizier dem Manöver beiwohnen müssen. Letzteres hat auch den Kindern in Burg den außerordentlichen Besuch des kommandierenden Generals Willy von Grolmann als Einquartierungsgast für mehrere Tage zugeführt; ein interessanter liebenswürdiger Offizier, der auch in weiter Welt – Persien, Spanien u. s. w. sich umgesehen hat. In nächster Zeit erwarten wir hier den Besuch unserer Schwägerin Pauline, die mit ihrer ältesten Tochter Gustel Douglas zur Taufe bei Loebells in Neuhaus gereist ist und nun nach Hause zurükkehren will.7

Klein, der die Kinder in Burg durch seinen Besuch erfreut hat und sich dort, wie in Pietzpuhl sehr liebenswürdig gezeigt hat, ist nur eine Nacht in Berlin gewesen, so daß wir ihn nicht gesehen haben. Wir freuen uns, daß Georg, der Premier-Leutenant, von den Anstrengungen des Manövers wohlbehalten, ausgestattet mit den Erinnerungen an frohe Stunden und interessante Erlebnisse zu Euch zurükgekehrt ist.

In meinem Amt habe ich jetzt viel zu thun und ich bin dankbar, daß meine Kräfte nach der langen Erholung des Sommers sich wieder mehr belebt haben; der Weilen werden sie dann auch wieder ermüden. Der Stickhusten, den ich nach Hause zurükgebracht hatte, scheint in den letzten Tagen sich zu mildern. Mit der Berliner Stadtsynode habe ich auch wieder herumstreiten müssen; es ist keine lohnende Arbeit.

Herzliche Grüße von Clara und allen Kindern Dir und den Deinigen mit treuen Wünschen von

Deinem Bruder Immanuel