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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 6. Januar 1889

Lieber Karl!

Nach Deinem freundlichen Brief1 zu Weihnachten komme ich erst jetzt im Neuen Jahr dazu, Dir für Deine lieben Grüße zum Fest und die gewohnte heimathliche Sendung an Nürnberger Lebkuchen Dank zu sagen, und verbinde damit nun meine herzlichen Wünsche für Dich und Deine Kinder zu dem begonnenen Jahre. Wir beiden Alten haben uns immer mehr in Beschränkungen mancherlei Art einzugewöhnen; das Bedürfniß der Ruhe wird größer, das Leben stiller und einsamer und die Arbeit muß sich mit den abnehmenden Kräften begnügen. Doch haben wir Grund, dem Herrn täglich für Seine reiche Gnade, die uns fort stützt und erhält, zu danken und zu preißen. So erwarte ich auch von Ihm den nöthigen Fingerzeig zum Rükzug aus meinem Amt, so daß ich mich mit Anstand zur Ruhe begeben kann, nach der ich mich herzlich sehne.

Das Weihnachtsfest war diesmal ganz anders wie in früheren Jahren in meinem Hause. Anstelle von Marie und ihrer Familie erfreute uns Willy mit Armgard und ihrem kleinen Wolfgang. Die Letzteren blieben über eine Woche bei uns; der kleine Enkel, der nun über ein Jahr alt ist, erfreute uns sehr durch sein liebliches Wesen und seine Fröhlichkeit, und mit Armgard verlebten wir friedsame schöne Tage. Die Gemeinschaft mit Oppeln wurde durch meinen lebhaften Briefwechsel unterhalten, so wie durch einen Austausch festlicher Gaben. Clara wurde durch die Wehmuth der Trennung zu ungewohnter Uebung ihrer künstlerischen Kräfte angeregt und stellte in kurzer Zeit zwei Sterne her, einen großen zum Schutze gegen eußere Gefahr für die Erwachsenen und einen kleinen dreitheiligen für die Kinder, die auch verdiente Anerkennung fanden. In den Feiertagen erhielten sie in Oppeln den Besuch von Adalbert mit Ella und dem ältesten Sohn Bert – dieser Letzte steht gegenwärtig mit seinem Regiment zu Neumünster in Holstein, und wird noch heute Abend auf der Rükreise bei uns hier einkehren.

Mit dem Neuen Jahre sind wir nun wieder in die gewohnte Bewegung und Arbeit eingetreten. Wir hoffen, daß der Frieden wird erhalten bleiben; es fürchtet doch jede Macht sich vor den Schrecken des Krieges und Frankreich wünscht seine Weltausstellung2 mit der Jubelfeier der gloriosen Revolution3 in ungestörtem Frieden zu erhalten und zu genießen. Doch bleibt die Zukunft immer ein Fragezeichen, welches nur der Herr des Himmels und der Erde beantworten kann. Wir haben daher stets Seinen Schutz und Seine Gnade zu erbitten. In unserem Lande ist der junge Kaiser der Mittelpunkt, der aufmerksam beobachtet und viel er- warten wird. Seine Entwiklung ist auch ein Fragezeichen, das die Leute, ein Jeder nach seinem Wunsche, zu beantworten sucht. Ich möchte meinen, daß man dazu Vertrauen haben kann; er hängt mit dankbarer Liebe und Verehrung an dem Vorbild seines ehrwürdigen Großvaters und will ihn in Arbeitsamkeit und Pflichttreue nachstreben. So wird er die vorhandenen Lüken durch die Erfahrung ausfüllen. Seinem Volke giebt er ein erfreuliches Vorbild durch ein glükliches Familienleben.

Vor kurzem hatten wir den verwandtschaftlichen Besuch von Christoph Tucher, der mit Frau und Tochter zu Veranlassung der ostafrikanischen Gesellschaft hergekommen war; wir hatten von ihnen einen angenehmen Eindruck. Leider war ihr Aufenthalt sehr kurz und wir machten einen vergeblichen Versuch, sie mit dem Bruder, dem hiesigen Legationsrath, an einem Abend bei uns zu sehen. Nach seiner Mittheilung soll sich Lina von Grundherr von ihrem Leiden wieder erholt haben.

Die guten Nachrichten, die Du uns über Deinen Siegmund mittheilst4, haben uns sehr erfreut. Hoffentlich wird Georg sich mit seinem neuen Kommandeur leidlich zurechtfinden. Ich wünsche ihm dazu Geduld und Selbstbeherrschung.

Clara und Clärchen senden Euch herzliche Grüße.

Mit den besten Wünschen

Dein Bruder
Immanuel