Wir feiern heute mit herzlicher Theilnahme die Feier der Einsegnung sowohl in Oppeln mit unseren Kindern für unseren ältesten Enkel Konrad als in München mit Dir und Deinen Kindern für Deinen ältesten Enkel Gottlieb und Felix. Möge der Geist des Herrn die Herzen dieser Kinder im Glauben und der Liebe erfüllen, daß sie einen festen Grund christlicher Erkenntniß und evangelischer Wahrheit auch für ihr sittliches Leben empfangen und bewahren! Es ist ein wichtiger ernster Abschnitt im Leben der Kinder und Du hast heute, wie wir hoffen, auch die Befriedigung, Deinen Enkeln Deine Segenswünsche aussprechen zu können.
Nach Deiner Abreise1 kam Marie zu uns und blieb hier acht Tage, während Rudel schon früher wieder zurükkehrte. Marie war durch die Verhandlungen mit dem vaterländischen Frauenverein sehr in Anspruch genommen und hat auch die Bewilligung der begehrten 6000 Mark für die in Oppeln zu begründende Anstalt erreicht. An einem dieser Abende hat sie eine Audienz bei der alten Kaißerin Augusta gehabt und wurde von ihr gnädig und freundlich empfangen.
Willy ist gestern nach Burg zu seiner Familie zurückgekehrt, da sich der Reichstag bis Mitte Mai vertagt hat; er schied mit der sicheren Hoffnung, daß das Arbeiter-Invalidengesetz2 noch zu Stande kommen würde; denn die Freunde dieses wichtigen Gesetzes haben die Ueberzeugung, daß nach der ernsten Arbeit, die sie ihm gewidmet haben, es jetzt auch nothwendig, wenn überhaupt, zum Abschluß gebracht werden müsse.
Am Tage vor seiner Abfahrt empfing er noch vom Präsidenten Doktor Hermes die amtliche Nachricht mit dem Ausdruck des Bedauerns, daß die ihm gemachte Aussicht seiner Berufung zum Präsidenten des Konsistoriums in Stettin nicht verwirklicht werden könne, da dem Vorschlag des Evangelischen Ober-Kircheraths unüberwindliche Schwierigkeiten entgegengetreten seien. Es ist dies im Staatsministerium geschehen seitens des Ministers des Innern, von welchem die Ansprüche älterer Bewerber geltend gemacht worden. Willy hat diesen Bescheid mit Ruhe entgegengenommen, da er sich um die Stelle nicht beworben und in keiner Weise darum bemüht hatte. Man muß auch anerkennen, daß es eine ungewöhnliche Bevorzugung gewesen sein würde, und nur es etwa bedauern, daß die Nachricht zu früh in das Publikum gebracht worden und dadurch ein unnützes Gerede entstanden ist. Einen weiteren Nachtheil hat es für ihn nicht, und daß die Ernennung versagt worden, ist nicht als Mißgunst zu betrachten. Er bleibt sehr gern in Burg und sein Kreis behält ihn auch mit Freuden; nur wird etwa Armgard die Aussicht auf die Würde als Präsidentin bedauern.
Die für die hiesige Königliche Bibliothek ausgewählten Schriften des Vaters habe ich in einer Kiste säuberlich mit Deinem Verzeichniß übersandt3 und darauf von ihm – dem Direktor Dr. Wilmanns – ein freundliches Dankschreiben, auch für Dich, empfangen. Die übrige Masse wurde, um weiteren Mißbrauch zu verhindern, in einer hiesigen Papiermühle abgeliefert.
Eine interessante Abendunterhaltung hatten wir inzwischen beim früheren Botschafter von Keudell. Derselbe ist bekanntlich sehr musikalisch, nicht minder seine jetzige Frau, die ausgezeichnet Klavier spielt. Er hat nun sich hier einen Chor von circa 40–50 Personen gebildet und gut geschult und mit diesem führte er eine Anzahl ansprechender Musikstücke aus. Es war eine große elegante Gesellschaft versammelt, die zuletzt mit einem reichlichen Buffet befriedigt wurde.
Wir sind nun heute in die stille Woche4 eingetreten; sie fordert uns zur Sammlung und stillen Einkehr auf. Wir werden sie auch zum Empfang des heiligen Abendmahls benützen. Der Herr möge uns dazu bereiten und segnen!
Clara trägt mir auf, Deiner Marie für ihren freundlichen Brief herzlich Dank zu sagen mit dem Versprechen, ihn auch bald zu beantworten.
Deinen Kindern und Dir senden wir zum heiligen Fest5 herzliche Grüße und Wünsche.