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Immanuel Hegel an Karl Hegel, Berlin, 5. Juli 1889

Lieber Karl!

Für Deinen lieben Brief vom 23sten vorigen Monats1 sage ich Dir meinen herzlichen Dank. Deine Mittheilung über die Reise Deiner Sophie nach England hat unsere lebhafte Theilnahme erweckt; es ist anscheinend, daß sie selbst, ebenso wie Du dazu entschlossen ist, und mit freudigem Muthe und Vertrauen in das Verhältniß als Lehrerin an einem Töchter-Institut eintreten will.2 Ihr Verlangen nach einer Thätigkeit ist sehr berechtigt und erfreulich, und ich kann es mir wohl erklären, daß sie mehr geneigt ist, dasselbe in England als in Deutschland zu suchen. In der Heimath würde die geeignetste Stellung für ein junges Mädchen als Diakonissin sein; so sehr aber dieser herrliche Beruf sich empfiehlt, so gehört doch nothwendig dazu die volle Neigung und Hingebung. Eine Stellung als Lehrerin und Erzieherin hat dagegen den anziehenden Reiz einer von den hermethischen gewohnten Zuständen losgelösten neuen Welt, welche nicht bloß das mannigfaltigste Interesse darbietet, sondern auch zur Ueberwindung zahlreicher Schwierigkeiten und zur Erfüllung der besonderen Aufgaben alle Kräfte des Geistes und Gemüths mit der Forderung völliger Selbstverläugnung in Anspruch nimmt. Wir werden daher, wie Du und Deine übrigen Kinder auch Deine Sophie mit unseren herzlichen Segenswünschen begleiten.

Unsere Reisepläne haben inzwischen eine größere Bestimmtheit gewonnen. Meine Frau hat eine wohl empfohlene Pension in Morschach neben dem Kurhaus Axenstein3 am Vierwaldstätter-See – „Zur Frohnalp“ – ermittelt und ich erwarte eine Antwort auf meine Anfrage, ob wir dort Aufnahme finden können. Es ist unsere Absicht zur Reise in die Schweiz über Frankfurt a/M. und Basel einen von hier am Sonnabend den 13ten Juli Abends abgehenden Sonderzug zu benutzen, der manche Bequemlichkeit und eine große Kostenersparniß gewährt. Es ist nur augenblicklich durch ein Unwohlsein von Klärchen eine Ungewißheit in unserer Abreise entstanden. Wir denken sie nicht nach der Schweiz mitzunehmen, weil die weite Reise für sie sehr anstrengend ist und auch durch ihre Begleitung bedenklich kostspielig werden würde; ferner ist die Kost in den Hotels für sie wenig geeignet; wir beabsichtigen deshalb nach ihren eigenen Wünschen sie zu den Geschwistern nach Burg und Oppeln zu schicken oder wenn sich dies nicht mit deren Reiseplänen vereinigen läßt, Clärchen wieder ihrer Freundin Frau Pfarrerin Menzel in Gütersloh in Westfalen anzuvertrauen. Alles das wird nun in der nächsten Woche sich ordnen müssen. Du hast nun bereits eine glükliche Wahl getroffen; es zieht Dich mit Recht nach dem Starnberger See, von dem ich aus dem weit zurükliegenden Jahr 1834 eine reizende anmuthige Erinnerung habe.

Zum Pfingstfest4 waren wir im Havelland bei unseren lieben Freunden von Knoblauch in Pessin; man bewegt sich dort in gemüthlichem Wohlleben; es war sehr schönes Wetter, nur litten die Felder sehr von der Dürre; mehr als wir in Berlin, da wir hier doch zuweilen durch Gewitter mit gründlichem Regen erquickt werden. Jetzt scheint fast ein Umschlag des Wetters mit Kälte eingetreten zu sein.

Von unseren Kindern in der Ferne haben wir gute Nachrichten; Willy ist thätig in seinem Kreise und Rudel in Oberschlesien, wo er auch den Minister von Gossler auf einer gründlichen Visitation des Schulwesens zu begleiten hatte. Beide, Rudel und Marie werden im Laufe der Zeit in einen Verkehr mit den reichen Magnaten hineingezogen, sehr interessant, aber auch kostspielig. Rudel will bald wieder nach St. Maurice im Engadin und Marie soll ihm dann zu einer Tour in der Schweiz nachfolgen. Adalbert ist von seiner italienischen Reise – Florenz, Venedig u. s. w. – sehr befriedigt nach Breslau zurükgekehrt.

Unser jugendlicher Kaiser wird in seiner Hast immer von Neuem zum Verreisen in weite Ferne angelockt; nun schwimmt er auf der Nordsee nach dem Norden zu den Lofoten und dem Nordkap und dann will er England besuchen, wo er schon ungeduldig erwartet wird. Die Engländer glauben das nächste Recht auf seine Begrüßung zu haben. Die anmuthige Kaißerin gewinnt dagegen in Franken die Herzen im freundlichen Verkehr mit ihrer lieblichen Kinderschar. Man begleitet den Kaiser mit einiger Sorge auf seiner Seefahrt, er liebt mit großer Passion die See und Marine. Es ist aber immer nur unsicheres Element und es wird nicht gebilligt, daß er nur zum Vergnügen ohne Noth sich ihm in dem Maaße anvertraut. Ueberhaupt muß noch Manches in ihm durch Erfahrung sich ausarbeiten. Neulich habe ich auf der glänzenden Feier der Vermählung des Prinzen Leopold mit der Schwester der Kaiserin beigewohnt5; es wurde dabei eine große Pracht entwickelt, auf welche der Kaiser Werth zu legen scheint. Der König von Sachsen war dabei eine kräftige, würdige Erscheinung.

Jetzt wird es in Berlin leer; es ist merkwürdig, wie das Reisen als eine unverrükliche Gewohnheit des Sommers zugenommen hat. Nun wird uns auch bald dieses Geschik ergreifen und so Gott will, wünschen wir, daß wir wohlbehalten und befriedigt wieder heimkehren, wo wir doch schließlich am besten aufgehoben sind.

Also sagen wir mit herzlichen Grüßen zu einander: Auf Wiedersehen!

Viele freundliche Grüße von Clara und Klärchen an Dich und Deine Kinder.

Mit herzlichen Wünschen

Dein Bruder
Immanuel