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Karl Hegel an Sigmund Hegel, Erlangen, 10. Mai 1891

Lieber Sigmund!

Aufs neue also muß ich Dir nach einem Krankenhause schreiben, armer Lazarus! und das bei solchem herrlichen Mai, den Du in der blühenden Natur genießen solltest! wie traurig ist doch das! Du mußt ein wiederholtes schweres Lehrgeld bezahlen; möchtest Du, guter Sigmund, nur noch ernstlicher beherzigen, daß Du nicht auf eine starke Gesundheit bauen kannst, daß Du auf Deine Schonung mit recht geordneter Lebensweise Bedacht nehmen mußt! Du hast Deine noch durch das lange Krankenlager geschwächten Füße offenbar zu viel gebraucht, hast Dich vielleicht auch einer Erkältung ausgesetzt, z. b. zum Beispiel beim Nachtfahren auf der Pferdebahn, etwa sogar außerhalb des Wagens vorn im Zugwind stehend? Es ist besonders fatal, daß Du nun nicht Mitte Mai Dein neues Amt, wie Du vorhattest, wirst antreten können. Eine geregelte Amtsthätigkeit wird Dir in aller Weise gut thun, um Sinn und Kraft allein auf sie zu richten.

Du hoffst in wenigen Tagen wieder loszukommen; möchte das wahr werden! Gib mir bald weitere Nachricht über Deinen Zustand. Mein Bruder und Deine Tante Clara schrieben mir, daß sie Dich am Sonntag wieder bei sich gesehen hätten; am Himmelfahrtstage1 aber konntest Du nicht mehr bei Willi sein. Zu Pfingsten werden beide Familien aufs Land fahren.

Bei uns geht es gut. Marie läßt Dich unter herzlicher Anteilnahme grüßen. Frau Hellwig ist nach Kassel verreist. Weißt Du schon, daß Dr. Hermann außerordentlicher Professor bei der Anatomie geworden ist? Georg ist in eine andere Wohnung in der Stadt gezogen und führt zur Zeit seine Compagnie, da der Hauptmann erkrankt ist. Ich werde in der Pfingstwoche nach Nürnberg zu den Sitzungen beim Germanischen Museum und nach München zu denen der Historischen Commission reisen.2

Deine neue Wohnungsadresse, Köpenicker Str. 26, erfuhr ich erst nachträglich durch Deine vorletzte Postkarte.3 Du wirst nun wohl eine andere Wohnung suchen müssen, um dem Patentamt näher zu sein. Schade, daß Du die angenehmen Hausleute verlassen mußt! Gib mir nur gleich Nachricht, wohin wir Dir schreiben sollen; hoffentlich wird es nicht wieder nach Lazarus sein!

Dein Vater Hegel