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Lothar Seuffert an Karl Hegel, Würzburg, 20. Mai 1893

beantw. 23 Mai.

Hochverehrter Herr Kollege!

Dafür, daß Sie mir Ihre in der historischen Zeitschrift erschienene Antikritik übersandten, bin ich Ihnen aus ganz besonderem Grunde zu Dank verpflichtet: mir gab diese Antikritik den Anlaß, einen schon früher gefaßten, aber in der Ausführung verzögerten Vorsatz auszuführen und Ihr Buch Städte und Gilden gründlich durchzulesen.

Nun bilde ich mir durchaus nicht ein, ein kompetenter Beurteiler eines Werkes zu sein, das in einem meinen speziellen Studien fremden Gebiete liegt; aber das darf ich Ihnen doch wohl aussprechen, daß mir, der ich mit voller Unbefangenheit an das Studium Ihres Buches heranging1, dessen Ergebnisse so gut gesichert erscheinen, als man überhaupt geschichtliche Erscheinungen sicher stellen kann. Ich bewundere die Sorgfalt, mit der Sie das kolossale Material durchgearbeitet und gesichtet haben, und bin der Ansicht, daß Ihre Aufstellungen durch dieses Material voll bewiesen sind, so genau, daß Sie auch durch neue Quellen, wenn sich solche irgendwie erschließen lassen sollten, schwer- lich untergraben werden könnten.

Vollständig einverstanden bin ich auch mit dem, das Sie in Ihrer Antikritik über die konstruierende Methode gewisser Rechtshistoriker sagen. Mir ist diese Konstruktionsmejerei, die mit vorgefaßten Ansichten an das Werk geht, in der Seele zuwider. Gierke ist mir in der Beziehung ein abschreckendes Beisiel. Was preßt er doch alles unter seinen Genossenschaftsbegriff hinunter, nur um die einheitliche Konstruktion zu retten! Zur Ehre der Juristen muß aber auch gesagt werden, daß er bisher unter diesen wenig Eideshelfer gefunden hat.

Genehmigen Sie die Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung und empfangen Sie besten Gruß

von Ihrem
aufrichtig ergebenen
Lothar Seuffert