Erlangen, 4. October 1894.
Herzlich froh war ich zu erfahren, daß Du glücklich selbst durch den ‚mist‘ Nebel über den Kanal und in Malvern angelangt bist. Ich hätte mir auch Sorgen um Dich, mein geliebtes Kind, machen können! Nun bist Du wieder in voller freudiger Thätigkeit bei einem Haufen von girls Schülerinnen. Kolde sagte mir gestern, daß das ganze Haus übervoll sei. Hoffentlich bist Du aus Deinem Zimmerchen unvertrieben. Auch bei einem schönen Concert warst Du schon wieder; hier bei uns wäre Dir solcher Genuß nicht geboten worden.
Übrigens haben wir in der letzten Woche | viel erlebt. Heute vor acht Tagen war ich in Nürnberg bei einer Sitzung im Germanischen Museum, wo ich auch Theodor v. Tucher und den Commerzienrat v. Grundherr sah. Letzterer war erst den Tag vorher von Artelshofen mit seiner Frau zurückgekommen. Sonst sah ich niemand von den Verwandten, da ich keine Zeit hatte sie zu besuchen. Am Sonntag war Georg über Mittag bei uns, leider bei recht schlechtem Wetter und er erzählte manches von seinem Manöver im Fichtelgebirge. Am Dienstag Nachmittag kam Felix Klein von München an, wo er wegen eines schlimmen Katarrhs einen Tag bei Lommels im Bett gelegen war. Er war noch arg verschnupft, ließ aber doch Nöther und Reeß zu sich kommen und war, wie immer, geistig lebendig. In Wien
| auf der Naturforscher Versammlung hat er vor circa 1000 Zuhörern, worunter auch Damen, einen Vortrag über den verstorbenen Mathematiker Riemann in Göttingen, seinen Lehrer, gehalten, wovon nur die Mathematiker etwas verstanden haben; an vernehmlichem Ton und Ausdruck hat er es doch nicht fehlen lassen. Ich hatte Georg veranlaßt, ebenfalls wieder zu uns herüberzukommen, und wir verbrachten den Abend in lebhafter Unterhaltung zu. Das Wetter war abscheulich, wurde aber besser gestern Nachmittag und ich konnte ihm in einer Stunde mit Nöther die neuen Universitätsgebäude zeigen. Um 12 ½ Uhr fuhr er ab, um erst nach langer Fahrt gegen 11 Uhr nachts Göttingen zu erreichen. Am Nachmittag ging ich mit Marie zu Rosenthals hinauf, um ihnen zur silbernen Hochzeit zu gratulieren. Sie hatten auf den Abend eine | jugendliche Gesellschaft zum Tanz eingeladen; wie bedauerte ich die ärmsten, denn es regnete fürchterlich! Und so machte das Wetter auch heute den ganzen Tag fort. Das sind unsere interessanten Erlebnisse, die Du Dir mit lebhaftem Anteil vorstellen wirst. Möge es Dir gut gehen, liebe Sophie! Frau Hellwig dankt Dir für Deinen Brief. An wen schreibst Du nicht alles! Auch an Frau Kolde u.s.w. Du bist eine treue Seele! Marie dankt Dir auch für Deinen Brief und grüßt Dich herzlich.
Dein Dich liebender Vater Hegel
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Sophia (Sophiechen)Sophie Hegel-18611940Hegel, Sophia (Sophiechen) (1861–1940), vierte und jüngste Tochter Karl und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878); sie blieb unverheiratet und absolvierte Stationen in München und Göttingen in den Haushalten der Schwestern Luise Lommel, geb. Hegel (1853–1924), und Anna Klein, geb. Hegel (1851–1927), später eine ca. 20 Jahre währende Tätigkeit als Lehrerin/Erzieherin an einem englischen Mädchenpensionat in Malvern, ab 1910 wieder in der Familie ihrer schwerhörigen Schwester Anna Klein lebend und dort vor allem in der Erziehung und Krankenpflege helfend; spätere Arbeit im sozialen Bereich in Göttingen.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Kolde, TheodorTheodor Kolde11631411718501913Kolde, Theodor (1850–1913), im oberschlesischen Friedland geborener evangelisch-lutherischer Theologe, der an den Universitäten Breslau und Leipzig studierte und an der Universität Halle promoviert wurde. Nach seiner Habilitation im Jahre 1876 an der Universität Marburg wurde er ordentlicher Professor für Historische Theologie und Missionswissenschaft an der Universität Erlangen, wo er im Studienjahr 1890/91 auch Prorektor war.
Grundherr, Adolf108003427718481908Grundherr, Adolf (1848–1908), in München geborener vielseitiger bildender Künstler, vor allem Maler und Graphiker. Sein Vater war der königlich bayerische Offizier Sigmund Grundherr von Altenthann und Weiherhaus (1797–1873). Nach dem Abitur am Münchener Maximilians-Gymnasium im Jahre 1868 studierte er an der Universität München zunächst Rechtswissenschaften, wechselte aber 1871 an die Nürnberger Kunstgewerbeschule und ein Jahr später an die Münchener Kunstakademie, um sein ganzes Leben der Kunst zu widmen.
Klein, FelixFelix Klein11856286X18491925Klein, Felix (1849–1925), in Düsseldorf geborener Mathematiker, der von 1872 bis 1875 ordentlicher Professor an der Universität Erlangen war, dann bis 1880 an der Technischen Hochschule München, bis 1886 an der Universität Leipzig und bis 1913 an der Universität Göttingen, Ehemann Anna Maria Carolina Kleins, geb. Hegel (1851–1927).
Lommel, Luise, geb. Hegel
Luise Lommel, geb. Hegel-18531924 Lommel, Luise, geb. Hegel (1853–1924), Ehefrau des Physik- und Mathematik-Professors Eugen Lommel (1837–1899); siehe auch: Hegel, Luise (1853–1924).
Lommel, Eugen Cornelius JosephEugen Lommel10427615018371899Lommel, Eugen Cornelius Joseph (1837–1899), in der Rheinpfalz geborener Physiker und Mathematiker, der von 1854 bis 1858 an der Universität München studierte, Lehrer in der Schweiz und dann Privatdozent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich wurde. 1867/68 war er Professor an der land- und forstwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim und von 1868 bis 1886 Ordinarius an der Universität Erlangen, schließlich an der Universität München. Er war der Ehemann Luise Hegels (1853–1924), der zweitältesten Tochter Karl und Susanna Maria Hegels (1826–1878).
Nöther, Max11703941118441921Nöther, Max (1844–1921), in Mannheim geborener Mathematiker, der nach seinem Studium 1868 an der Universität Heidelberg promoviert wurde und sich dort 1870 habilitierte und bis 1874 Privatdozent war. Von 1875 an war er außerordentlicher, von 1888 bis 1919 ordentlicher Professor an der Universität Erlangen.
Reeß (Rees), Max11639017418451901Reeß (Rees), Max (1845–1901), in Wiesloch bei Heidelberg als Sohn eines Arztes geborener Botaniker, der an den Universitäten Freiburg im Breisgau und München Medizin und Biologie studierte und im Jahre 1867 zum Dr. phil. promoviert wurde. 1869 habilitierte er sich an der Universität Halle und wurde dort Professor, bis er 1872 ordentlicher Professor an der an der Universität Erlangen wurde.
Riemann, Georg Friedrich Bernhard11860086918261866Riemann, Georg Friedrich Bernhard (1826–1866), bei Danneberg an der Elbe geborener Mathematiker, der von 1846 bis 1851 an den Universitäten Göttingen und Berlin studierte, im Jahre 1851 in Göttingen bei Carl Friedrich Gauß (1777–1855) promoviert wurde und sich 1854 habilitierte. Ab 1857 war er außerordentlicher Professor in Göttingen und wurde 1859 Ordinarius.
Hegel, Maria (Mariechen, Mimi)Marie HegelTochter Karl Hegels-18551929 Hegel, Maria (Mariechen, Mimi) (1855–1929), dritte Tochter Karl (1813–1901) und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878), die ab 1878 dem verwitweten Vater den Haushalt in Erlangen führte.
Rosenthal, Anna, geb. Höber116625287 -18411928Rosenthal, Anna, geb. Höber (1841–1928), Ehefrau des Erlanger Physiologen Isidor Rosenthal (1836–1915).
Rosenthal, Isidor11662606218361915Rosenthal, Isidor (1836–1915), in Labischin bei Bromberg in der Provinz Posen geborener Mediziner, der im Jahre 1859 an der Universität Berlin promoviert wurde, sich dort 1862 für das Fach Physiologie habilitierte und 1867 außerordentlicher Professor wurde. Von 1872 bis zu seinem Tode war er Ordinarius für Physiologie an der Universität Erlangen.
Kolde, Anna, geb. Piper 11631192418521936Kolde, Anna, geb. Piper (1852–1936), Ehefrau des Theologen Theodor Kolde (1850–1913).
Ärmelkanal, „der Kanal“, English Channel50.4924668,1.054682Etwa 560 Kilometer langer und an der schmalsten Stelle (Straße von Dover) etwa 35 Kilometer breiter Meeresarm des Atlantischen Ozeans zwischen Großbritannien im Westen sowie Frankreich, Belgien und den Niederlanden im Osten, der den Golf von Biscaya mit der Nordsee verbindet.
Malvern52.1159559,-2.3258985Etwa 200 Kilometer nordwestlich von London gelegenes Kur- und Heilbad in der Grafschaft Worcestershire.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Artelshofen49.5735676,11.4968896Etwa 14 Kilometer nordöstlich von Henfenfeld und etwa 38 Kilometer nordöstlich von Nürnberg gelegener Ort mit Schloß an der Pegnitz.
FichtelgebirgeBis auf 1000 Meter Höhe ansteigendes Mittelgebirge im Norden Bayerns, zwischen Thüringer und Frankenwald im Westen und Erzgebirge im Osten gelegen, mit der Stadt Hof als wichtiger Eisenbahnstation im Nord-Süd-Verkehr.
München48.1371079,11.5753822Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern an der Isar in Oberbayern.
Wien48.2083537,16.3725042An der Donau gelegene Hauptstadt des Kaiserreichs Österreich.
Göttingen51.5328328,9.9351811Circa 100 Kilometer südlich von Hannover und südwestlich des Harzes gelegene Stadt mit einer 1737 eröffneten Universität.
Germanisches Nationalmuseum NürnbergIm Anschluß an die Frankfurter Germanistenversammlung von 1846 im Jahre 1852 gegründetes Museum zur Präsentation der mit dem Fach „Germanistik“ umrissenen Kulturgeschichte.
Naturforscher-VersammlungAls größte interdisziplinäre Wissenschaftsvereinigung wurde die „Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte“ im Jahre 1822 in Leipzig gegründet und traf sich von da an zu jährlichen großdeutschen wissenschaftlichen und geselligen Veranstaltungen. Die 66. Versammlung fand 1894 in Wien statt.
Universität ErlangenDie im Jahre 1743 gegründete Universität Erlangen gewann im 19. Jahrhundert innerhalb des katholisch geprägten Königreichs Bayern durch ihre evangelische Theologische Fakultät als wissenschaftliche Ausbildungsstätte protestantischer Geistlicher für die neue, nach 1806 erst entstehende Bayerische Landeskirche eine besondere Bedeutung. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die „Erlanger Theologie“ durch große Geschlossenheit und Einheitlichkeit im Sinne des „Neuluthertums“ gekennzeichnet.