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Karl Hegel an Kuno Fischer, Erlangen, 6. Juli 1898

Hochgeehrter Herr Geheimerrath!

kann ich nicht unterlassen meine volle Befriedigung und meinen innigen Dank auszusprechen für die vortreffliche Lebensbeschreibung und Charakteristik meines Vaters, die ich in dem kürzlich erschienenen ersten Heft Ihres Werkes über Hegel2 gelesen habe. Dies zu lesen war für mich um so wohlthuender als es bei uns in Deutschland, seitdem Schopenhauer den Ton der Geringschätzung, ja der Schmähung gegen Hegel angegeben hat, fast Mode geworden ist, dessen Philosophie als völlig abgethan zu behandeln, während, merkwürdiger Weise, mir nicht wenige Zeugnisse davon vorliegen, daß eben diese deutsche Philosophie in Frankreich, England und sogar jenseits des Oceans höchste Anerkennung und begeisterte Anhänger gefunden hat und immer noch findet. Ich vertraue darauf, daß Ihre große Autorität viel dazu beitragen wird, eine gerechtere Beurteilung Hegels auch in Deutschland wieder zur Geltung zu bringen. Um so lebhafter fühle ich mich als Sohn des Philosophen, wenn auch selbst kein Philosoph, gegen Ew. Excellenz zu Dank verpflichtet.

Als eine Kleinigkeit bemerke ich berichtigend zu Anm. 3 S. 138 Ihrer Schrift, daß Hegels erste Wohnung in Berlin allerdings in der Leipziger Straße, Friedrich Straßen Ecke, war, die er bald mit der stiller gelegenen am Kupfergraben Nr. 4 (einem Arm der Spree), nicht gegenüber Monbijou) unweit von der Universität vertauschte, doch nicht eine dritte bezog, sondern in jener bis an sein Ende lebte. Meine frühesten Erinnerungen – ich bin 1813 geboren – gehen auf die Wohnungen meiner Eltern im Gymnasium zu Nürnberg und in Heidelberg in der Friedrichstraße bei dem Ökonomen Quast zurück.3

Von dem Briefwechsel, den ich herausgab4, ist manches vorher, wie ich erst später erfahren, abhanden gekommen. Der ganze schriftliche Nachlaß war zuerst in Händen von Friedrich Förster, dann bei Rosenkranz. Förster hat die Briefe Hölderlins an Gustav Schwab überlassen, der sie nachher abdrucken ließ.5 Im Nachlaß von Rosenkranz hat sich noch ein Teil der Hegel’schen vorgefunden, wie mir vor einigen Jahren ein Neffe von ihm, Dr. Genthe, schrieb, der ihn an das Goethe-Schiller Archiv in Weimar übergeben wollte. Aus dem Nachlaß von Paulus hat Professor von Reichlin-Meldegg in Heidelberg, der ihn besaß, in seinem Leben von Paulus6, einige Auszüge von Hegels Briefen abgedruckt; die Benutzung dieser und anderer Briefe hat er mir, auf wiederholtes Ansuchen, rundweg verweigert.

Alles was ich selbst noch von dem schriftlichen Nachlaß meines Vaters in Händen hatte, habe ich der königlichen Bibliothek in Berlin übergeben.

Verehrungsvoll
Ew. Excellenz ergebener
Geheimerrat und Professor
Karl Hegel.