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Karl Hegel an Georg und Maria Hegel, geb. Rücker, Steinach (am Brenner), 12. August 1898

Meine Treuen!

Deinen Brief1, liebe Marei, haben wir hier mit Vergnügen erhalten und daraus ersehen, daß Georg noch bis September in Bamberg bleiben wird. Jedenfalls werdet Ihr Sophie noch sehen. Präsident Oberniedermeyer und seine Damen, mit denen wir uns über Euch unterhalten könnten, sind immer noch nicht angekommen; in der Post hörte ich, daß sie wegen Erkrankung der Frau Präsidentin vorläufig abgesagt hätten.2

Wir sind nun schon seit zehn Tagen hier. Auf der Reise hielten wir uns einen Tag in München im Hotel Stimmen3 (National) auf, und waren bei Lommels zu Mittag, nach- mittags mit Luise und Gottlieb auf der interessanten Maschinenausstellung. Eugen war am Morgen nach Karlsbad abgereist. Luise hatte als Gast nicht bloß unsere Sophie, auch Frau Professor Sieffert aus Bonn bei sich. Sophie trafen wir sehr erkältet von der Nachtreise von Düsseldorf her; sie begleitete uns nicht sofort nach Steinach, meine Schwägerin Clara mit Clärchen, die nachdem Frau Sieffert abgereist war, gleichfalls bei Luise einquartiert wurden. Sie folgten uns dann nach Steinach und nach ihnen auch Sophie. Wir wohnen nicht mit der Tante zusammen im Steinbock, da sie die Post vorgezogen hatte und eine Privatwohnung fand. Doch machten wir natürlich unsere Spaziergänge gemeinschaftlich. Man hat davon eine schöne Auswahl, sowohl im Thal in der Nähe der Eisenbahn, die nach dem Brenner aufsteigt, und längs dem rauschenden Gebirgsfluß Sill, der sich bei Innsbruck in den Inn ergießt, wie auf den leicht zu erreichenden Höhepunkten, wo man nachmittags seinen Caffee trinken kann; in der Ferne sieht man nach den verschiedenen Richtungen hin die schneebedeckten, bei Sonnenschein silbern glänzenden Gebirgshäupter.

An guter Gesellschaft fehlt es nicht in dem angenehmen Steinbock, Pfarrer Richter und Frau, geb. v. Crailsheim und Tante von Luise Löffelholz aus Eichstädt, Hofrat Regierungschef von Trentini mit Frau, und drei munteren hübschen Töchtern, die aus Trient so gut italienisch wie deutsch sind, dann aus Leipzig Oberbaumeister Canzler aus Dresden mit Tochter. Auf Oberniedermeyers können wir doch wohl noch rechnen.

Die Luft ist herrlich frisch auf der Höhe von 1046 Meter; außer einigen trüben und einem halben Regentage bei 5° Réaumur4 hatten wir auch schönes Wetter, wie heute; wir wollten mit Eisenbahn nach Gossensaß. Doch fand ich mich heute übermüdet; wir werden daher die Parthie über den Brenner erst morgen machen. Marie, die viel Anreiz zum Zeichnen findet, und Sophie sind vor einer Stunde, ich weiß nicht wohin, ausgeflogen.

Seid herzlich gegrüßt von

Eurem Vater.