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Karl Hegel an Ottilie Hegel, geb. Klinger, Erlangen, 29. November 1901

Liebe Otti!

Ich beantworte Deinen fröhlichen Brief2 – so wird von Euch auch der Bußtag mit Kind und Kegel gefeiert! – im Einzelnen. Zuerst die Weihnachtsangelegenheiten. Der Bismark soll Sigmunds Weihnachtsgeschenk nicht verschlucken: ich weiß nur noch nicht, was ich wählen soll. Das fabelhafte dicke Buch für 60 ₰ hättest Du nur gleich mitnehmen sollen. Dazu kommt der fabelhafte Rasierspiegel, für den es in Eurer Wohnung keinen Raum gibt! Ist denn Sigmunds Bart ein solches Ungeheuer? Mein Rasierspiegel liegt in einer kleinen Schublade neben den Rasiermessern der ist 19 Centimeter hoch und 16 breit; auf der Rückseite ist ein Gestell angebracht wie bei einem Photographie-Rahmen. Der ist leicht auf Reisen im Koffer mitzunehmen und kostet eine Mark. Du kannst ihn in jedem Glasladen finden, nimm nur keinen größeren.

Daß es beiden Zieglers gut geht, freut mich sehr. Ärgerlich ist noch mehr als die Unterschlagung von Geld der Mißbrauch des Vertrauens, das Ziegler auf den ungetreuen Kellermeister gesetzt hatte. Interessant war mir, was Du über Bitter und Willi schreibst. Willi wächst sich zu einem ernsten Bureaukraten aus! Ich hätte Bitter gern über die 3 gehört.

Du besuchst ja ganz hübsche gesellige Kreise! Mir ist das leider seit einer Reihe von Wochen ganz versagt. Mein Katarrh verbunden mit Heiserkeit läßt sich nicht mit allen Mitteln heraus bringen und bei dem schlechten Wetter ist mir das Ausgehen ganz verboten.

Die Ähnlichkeit von Elisabeth mit unserer Sophie ist interessant, der Junge, mein Pathe, hat wohl noch gar keine Physiognomie? Seine Erfindung von Spielen und seine Ausdauer sind treffliche Eigenschaften.

Über die Affaire Spahn wäre viel zu sagen. Ich habe dem Proteste Mommsens nicht zugestimmt. Der kleine Mann und große Gelehrte leidet an Größenwahn, er ist durch viele Bewunderung verdorben. Er hat die Sache übermäßig aufgebauscht. Daß „ein Gefühl der Degradierung“ in den Kreisen der Professoren herrsche, ist eine lächerliche Behauptung. Die ganze Sache ist die, daß der Kaiser, den Katholiken zu Gefallen, in Straßburg eine neue katholische Geschichtsprofessur neben der protestantischen gestiftet hat, wie solche schon in Bonn, in Berlin, in Freiburg und bei uns in München und Würzburg bestehen. Unsere bairischen Professoren hatten am wenigsten Grund Mommsen nachzulaufen! Die Berliner, Königsberger und Hallenser und Göttinger haben sich gehütet das gleiche zu thun.

Ich grüße Sigmund, wenn er von diesem Brief wissen darf, und Zieglers.

Dein Vater Hegel